zum Hauptinhalt
Dübel, Nägel, Schrauben und vieles mehr. Albrecht Fiedler in seinem Eisenwarenladen mit dem Traditionsnamen „Gustav Stahlberg“.

© Manfred Thomas

Landeshauptstadt: „Die Leute werden mir fehlen“

Albrecht Fiedler schließt nach 135 Jahren den Eisenwarenladen „Gustav Stahlberg“

Stand:

Albrecht Fiedler steht in seinem Werkzeugladen wie seit 50 Jahren. Eine alte Dame wickelt aus einer Serviette etwas aus. „Ich habe es eingeölt“, sagt sie. Es ist ein kleines Schloss aus einem Schrank, das nicht mehr funktioniert. Fiedler schaut sich die Sache an, dreht sich um, holt einen neuen Schlüssel und zeigt der Frau, dass das Schloss wieder schließt. „Ist das neu?“, fragt sie. „Nein, nur der Schlüssel, der alte war abgenutzt – macht zwei Euro 40“. Eine anderer Kunde hätte gern „so etwas“ – er zeigt eine Schraube – „nur fünf Millimeter länger.“ Für 40 Cent gehen drei Stück über den Ladentisch. Einen Bogen Sandpapier 400er Körnung, drei Vorhängeschlösser, eine Stahlscheibe für ein Gummiteil vom Motorrad, eine ganz bestimmte Schraube oder der Vierkantschlüssel für eine Pendeluhr vom Trödelmarkt – bei all diesen Wünschen sucht Fiedler nach einer Lösung und nur selten muss er mit den Worten passen: „Das habe ich nicht“.

„Wo kaufen Sie einen Bogen Sandpapier, wenn es den Laden hier nicht mehr gibt?“ Die junge Frau ist ratlos. „Dann habe ich ein Problem“, sagt sie. Doch im Mai ist es soweit: Dann schließt die „Firma Gustav Stahlberg“ in der Brandenburger Straße. „Ich bin der letzte in diesem Gewerbe“, sagt Eigentümer Albrecht Fiedler. Im Branchenbuch „Gelbe Seiten“ findet sich einzig und allein sein Firmen-Name. Er werde in diesem Jahr 69 Jahre alt, da sei es Zeit aufzuhören. Dass er es überhaupt so weit gebracht habe, ist seiner Frau und seinen beiden Söhnen zu verdanken. „Sie haben mir geholfen, als ich aus der Hauptstraßenlage ins Hinterhaus ziehen musste“. Ohne diese Hilfe hätte er es nicht geschafft. Das war eine sehr schwierige Situation damals, aber die Miete direkt an der Fußgängerzone war nicht zu erwirtschaften. Selbst „hinten“ zahle er monatlich 1400 Euro Miete kalt für den kleinen Laden. „Die Stadt hat mir das Leben zusätzlich schwer gemacht“, sagt er. Einmal habe er sogar 100 Euro Strafe zahlen müssen, als er einen Wegweiser für seinen Hofladen aufstellte.

Die Ladeneinrichtung besteht noch aus Teilen, die schon bei der Gründung 1877 zur Ausstattung gehörten. Geschäfte dieser Art gehören heute zu den absoluten Seltenheiten. 1200 Artikel mit zehnfachen Varianten, bis zur Decke in Kästchen und Regalen sortiert. Vom Pfefferspray über „Uhu hart“ bis zur Bosch-Bohrmaschine ist alles nur Denkbare an Haushalts- und Eisenwaren vorhanden. Fiedlers Laden ist ein Supermarkt im Miniformat. Es gibt Ratten- und Mausefallen, Töpfe und Schweizer Taschenmesser, Vorschlaghämmer und Treteimer – insgesamt vielleicht zehntausend Artikel.

Ab 16. April bis 12. Mai will Fiedler einen Ausverkauf anbieten: 40 Prozent Nachlass für die vorhandenen Waren von Dübeln über Nägel und Schrauben bis zu Hausnummern-Schilder aus Alu, Gold oder Silber und Taschenlampen im Etui.

Albrecht Fiedler legt wert darauf, dass es sein eigener Entschluss ist, das Geschäft aufzugeben. Das falle ihm nicht leicht, „aber ich habe im Inneren damit abgeschlossen.“ Er schreibe schwarze Zahlen, wenn er auch nicht reich geworden sei. Eine schmerzliche Lücke nach der Schließung sieht Fiedler voraus: „Der Umgang mit den Leuten wird mir fehlen.“

Albrecht Fiedlers Vater war Pfarrer in Luckenwalde. „Karfreitag durfte ich nicht die Schlager der Woche im RIAS hören“ , beschreibt er die religiöse Strenge im Elternhaus. Heute ist das Radio in seinem Laden in der Brandenburger Straße 69 auf „Klassikradio“ programmiert. Zur Mittelschule wurde der Pfarrerssohn in Luckenwalde nicht zugelassen. Er ging bei der Firma Runge in die Lehre und wurde Eisenwaren-Fachverkäufer. 1962 zog er nach Potsdam und begann als Verkäufer bei der Firma Stahlberg. Der Pfarrerssohn verweigerte den Wehrdienst, wurde immer wieder ins Wehrkreiskommando in der Berliner Straße einbestellt. „Ich hatte Angst, war aber auch selbstbewusst“, erinnert er sich. Zum Glück hatte er eine „Nische“ in einem Privatunternehmen gefunden. Mit diesem ging es in der DDR nicht völlig privat weiter. Inhaber Bernd Preuß wurde Kommissionshändler der Handelsorganisation HO. Nur so konnte er die Belieferung mit Waren und den Verkauf an die Betriebe sichern.

Preuß entschloss sich 1998, das Geschäft aufzugeben. „Ich musste es übernehmen“, sagt Fiedler. „Was sollte ich im Alter von Mitte 50 sonst machen?“ Er kaufte den Firmennamen „Gustav Stahlberg“ und das gesamte Inventar und startete einen Neuanfang. Mit Erfolg. „Viele in der Brandenburger Straße sind pleite gegangen oder haben aufgegeben, ich bin fast der Letzte.“

Bereits 2010 hatte Fiedler seine Geschäftsaufgabe bekannt gemacht. „Stahlberg sucht Nachfolger“ titelten die PNN. „Es haben sich einige Interessenten gemeldet“, berichtet der Geschäftsmann. „Aber es waren keine vertrauenswürdigen Angebote dabei“. Solch ein Geschäft sei eine große Verantwortung und setze immensen persönlichen Einsatz voraus. Ein Anbieter wollte „Stahlberg“ übernehmen und in der Schopenhauerstraße neu eröffnen. Der Pferdefuß: Fiedler sollte dort Verkäufer sein. „Dann hätte ich ja gleich weitermachen können“, sagt er.

Albrecht Fiedler ist klar, dass die Schließung des Geschäftes einen tiefen Einschnitt in seinem Leben bedeutet. „Ich möchte anschließend nicht nur zu Hause vor dem Computer sitzen“, sagt er. Natürlich könne er sich dann mehr der Familie widmen, an der Ostsee Urlaub machen oder in Marienbad. Vor allem aber wolle er sich ehrenamtlich engagieren und einbringen, „irgendwas machen, wo Not am Mann ist.“

Günter Schenke

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
console.debug({ userId: "", verifiedBot: "false", botCategory: "" })