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Homepage: Die Macht des geheimen Wissens

Die Jahrestagung im Potsdamer Einstein Forum befasste sich mit der Kultur des Geheimnisses

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Der große, weißhaarige Mann trägt einen dieser Anzüge: weit geschnitten, schwarz und doch mit einem gewissen Grauton. Dazu eine rote Seidenkrawatte. Unter dem Arm hält er einen zugeklappten, orangefarbenen Ordner mit der Aufschrift „Terminvorlage“. Ein ungewöhnliches Bild im Einstein Forum, wo doch sonst die eher elegante, legere Mode der Intellektuellen vorherrscht. Aber das strenge Erscheinungsbild, das Staatssekretär August Hanning beim Betreten des Konferenzraums abgibt, passt durchaus zum Thema der Tagung. Denn das Motto der diesjährigen Jahrestagung des geisteswissenschaftlichen Zentrums am Neuen Markt lautete „The Hidden - Cultural and Political Implications of Secrecy“. Um kulturelle und politische Aspekte von Geheimnissen sollte es also gehen. Und August Hanning, der in einer abgedunkelten Limousine aus Berlin angereist war, war mal Chef des deutschen Geheimdienstes BND.

Das Geheimnis lässt sich kaum vom Politischen trennen. Das hatte schon der Eröffnungsvortrag der Direktorin des Einstein Forums, Susan Neiman, gezeigt. „Eine politische Psychologie der Geheimhaltung“ hatte die in Harvard ausgebildete Philosophin versprochen. Und so arbeitete die US-Amerikanerin ein Trauma auf, das in USA derzeit mit Konflikten im Nahen und Mittleren Osten in Verbindung gebracht wird: der Vietnam-Krieg. Im Jahr 1971 hatte die Veröffentlichung der so genannten „Pentagon Papers“ die Öffentlichkeit über Geheimnisse der US-Regierung unterrichtet. Der Regierungsmitarbeiter Daniel Ellsberg hatte damals die Bombe platzen lassen: die Regierung der Vereinigten Staaten hatte die Öffentlichkeit über wichtige Aspekte des Krieges belogen. Doch damit nicht genug. Auch innerhalb der Regierung herrschte eine gezielte Politik der Desinformation und Geheimhaltung. Eine Parallele zu heute, wie viele Anwesenden meinten.

Susan Neiman und die nachfolgenden Vortragenden machten klar, worin die doppelte Bedeutung des Geheimnisses liegt. Einerseits beschützt es die Zivilgesellschaft vor Gefahren, die diese möglicherweise gar nicht einzuschätzen vermag. Andererseits besitzt ein Geheimnis die Macht der Verführung: Loyalität, Dringlichkeit und elitäre Kreise von gut informierten „Entscheidern“ besitzen eine Anziehungskraft, die – das bestätigte auch der Geheimnisverräter Ellsberg in einem 2002 erschienen Buch – durchaus an eine sexuelle Verführungskraft heranreicht. So wurde auch deutlich, wie sich die Konferenz in den Arbeitskontext des Einstein Forums einreihte. Das Thema „Geheimnisse“ sei aus der langfristig etablierten Emotionsforschung entstanden, erläuterte Organisator Martin Schaad die Hintergründe. „Besonders in Hinblick auf Neid und Eifersucht kamen wir in der Vergangenheit immer wieder auf Geheimnisse zu sprechen“, so Schaad über den Stand der Diskussionen am Einstein Forum. Und es kann keinen Zweifel daran geben, dass wir bis heute mit diesem Phänomen leben müssen. 20 Millionen Entscheidungen der US-Regierung werden jedes Jahr als geheim eingestuft, wusste der Journalist Peter Weitzel aus Washington. Der Wissenschaftshistoriker und Filmemacher Peter Galison konnte dem hinzufügen, dass Geheimarchive in den USA um ein Vielfaches schneller wachsen, als es die größten öffentlichen Bibliotheken des Landes tun. Im Rahmen seiner Forschung zu der Geschichte der Atomwaffen sei er auf das Thema der Geheimhaltung gestoßen, sagte Galison am Rande der Tagung.

Staatssekretär August Hanning kam pünktlich zu seinem Vortrag und bekam von den kritischen Bemühungen der Wissenschaftler nichts mit. Der Geheimdienstspezialist sprach von organisierter Kriminalität, Suizid-Attentätern und „nicht-staatlichen Akteuren“: angesichts solcher Feinde verstummten dann auch die kritischen Stimmen der Akademiker. August Hanning erinnerte daran, dass ein Staat auch an seiner Schwäche scheitern könne. Freiheit habe einen Preis, sagte der ehemalige BND-Chef. Dabei wollte er Parallelen mit dem Ministerium für Staatssicherheit der DDR nicht zulassen. Er habe im Laufe seiner politischen Karriere über lange Zeit in Ost-Berlin in einer vollständig überwachten Wohnung leben müssen. „Das war nicht leicht für mich und meine Familie“, sagte Hanning. So blieb der Geheimdienstler glaubwürdig. Trotz manchem geheimnisvollen Schweigens.

Mark Minnes

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