Homepage: Die männliche Zigarre
Die Historikerin Karin Hausen referierte an der Universität über den Geschlechterdiskurs um das Rauchen
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Als der Tabak im 16. Jahrhundert in Europa ankam und schnell eine massenhafte Verbreitung erfuhr, galt er nicht nur als Genussmittel, sondern – heute kaum mehr zu glauben – auch als Arzneimittel. Die Aristokratie des 18. Jahrhunderts schnupfte ihn. Frauen wie Männer. Mit den Rauchgewohnheiten änderte sich allerdings der gleichberechtigte Genuss. Spätestens mit dem Aufkommen der Zigarre um 1830 galt Rauchen als männlich und Nichtrauchen als weiblich.
Aber warum eigentlich? Die Historikerin Karin Hausen, eine der ersten, die in der Bundesrepublik Frauengeschichtsforschung als Geschlechterforschung verstand und als universitäres Fach durchsetzte, ist bekannt dafür, dass sie solch naheliegenden Fragen beharrlich nachgeht. Für die Ringvorlesung „Geschlecht in Alltag und Wissenschaft“ an der Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Fakultät der Universität Potsdam fragte die „geborene Nichtraucherin“ in ihrem Vortrag in der vergangenen Woche, wie die Alltagspraxis des Rauchens zu einer Grenzziehung zwischen den Geschlechtern werden konnte.
Denn anfänglich markierte das Rauchen eher die Abgrenzung der bürgerlichen Klasse vom Adel. Die Schnupftabakdose war adlig, der in Papier gewickelte Tabak – die Zigarre – war bürgerlich, um nicht zu sagen: proletarisch. Denn diese damals preisgünstige Variante des Tabakgenusses konnten sich auch Arbeiter leisten. Aber in dem Mund einer Frau? Schon der Anblick galt als obszön. Das allerdings erklärt noch nicht, warum auch das Pfeiferauchen als unweiblich wahrgenommen wurde.
Karin Hausen verwies auf den Zwang der bürgerlichen Klasse, die eigene Ordnung aufrecht zu halten. Viel mehr als die höfische Gesellschaft beruhte sie auf einer Arbeitsteilung der Geschlechter. Die einen arbeiten, verdienen das Geld und bewegen sich in der Öffentlichkeit, die anderen reproduzieren die Arbeitskraft des Mannes, versorgen den Nachwuchs und verbleiben in der Privatsphäre. So einfach, so ungerecht. Der Tabakrauch wurde zum Zeichen des Wandels, weil er geknüpft war an die Sphäre der Öffentlichkeit. Geraucht wurde auf der Straße und in Cafés, die für „anständige“ Frauen tabu waren. Rauchen in Anwesenheit von Frauen gehörte sich nicht. So ist es kein Zufall, dass die Salonkultur – die als halböffentlicher kultureller Begegnungsraum, auch zwischen den Geschlechtern, funktionierte – mit dem Aufkommen des Rauchens unterging.
Allerdings gab es auch immer Frauen, die demonstrativ Grenzen übertraten. Karin Hausen erinnerte an die schon zu Lebzeiten erfolgreiche Schriftstellerin George Sand, die mit Zigarre und Männerhosen provozierte. Ihr tat es Louise Aston gleich, die als „hosentragendes Mannsweib“ denunziert und von der Polizei überwacht wurde. Im Verhör bekannte sie, nicht an Gott zu glauben, stattdessen Zigarre rauchen und die Frauen emanzipieren zu wollen. Solcherart Ansinnen wurde reglementiert: Louise Aston wurde aus Berlin verbannt, und die Propaganda gegen Frauen, die einen Anteil an der öffentlichen Sphäre beanspruchten, lief auf Hochtouren. Ein Bestseller der Zementierung der bürgerlichen Geschlechterordnung, der mit expliziten Hinweisen auf das „unweibliche“ Rauchen argumentierte, war Wilhelm Heinrich Riehls vielfach nachgedrucktes Werk „Die Familie“ von 1855.
Erst mit Beginn des 20. Jahrhundert änderten sich die Zuschreibungen. Die schlanke, weniger phallische Zigarette kam auf den Markt – und plötzlich war das Rauchen auch für Frauen schick. Die Frauenbewegung hatte sich soweit etabliert, dass genug Frauen so selbstbewusst waren, die Zigarette als kreatives Symbol für sich zu beanspruchen. Die Zigarettenindustrie reagierte prompt und etablierte die Zigarette als Zeichen der Moderne – im Mund einer Frau. Das Rauchen war endlich zu einem egalitären Genuss geworden. Lene Zade
Nächster Vortrag der Ringvorlesung am 3. Juli, 17 Uhr, Haus 9 Am Neuen Palais: „Das Spiel der Moden mit Geschlechtern“, Prof. Gertrud Lehnert
Lene Zade
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