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Landeshauptstadt: Die Missionare wurden ausgeladen

Diakon Matthias Stempfle baut am Schlaatz eine evangelische Gemeinde auf

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„Kirche soll nicht nur in der Kirche stattfinden.“ Matthias Stempfle, der seit vergangenem September das Projekt „Kirche im Kiez“ leitet, ist froh, keine Kirche zu haben, denn genau so will er seine Gemeindearbeit ins öffentliche Leben vom Schlaatz integrieren.

Von der evangelischen Gemeinde am Stern getragen, sei „Kirche im Kiez“, vor allem ein Experiment, so der Diakon. „Am Schlaatz gibt es nur halb so viele Kirchenmitglieder wie anderswo in Potsdam. Das liegt auch daran, dass die Kirche einen sehr bürgerlichen Charakter hat.“ Man müsse einen anderen Weg einschlagen, um alle sozialen Gruppen an der Kirche teilhaben zu lassen.

In diesem Zusammenhang gibt es am Schlaatz nun, neben dem monatlichen Kiezgottesdienst und dem Jugendkreis, eine Meditationsgruppe, gemeinsames Kochen im Bürgerhaus und eine Einführung in die Bibel – für Anfänger. Statt ausführlicher Exegese will Stempfle im Kiezgottesdienst vor allem klar verständliche Prinzipien diskutieren und anstelle von Orgelmusik gibt es Gitarrenlieder. „Man muss nicht völlig abheben, um über ernste Lebensfragen nachzudenken. Die Kirche ist meist auf ein Arte-Publikum eingestellt, aber wir wollen auch den Menschen, die RTL2 schauen, etwas bieten.“

Ein vielfältiges und aufgeschlossenes Programm soll helfen, auch zu den Schlaatzbewohnern Beziehungen zu knüpfen, die nicht aus Kirchenkreisen kommen. „Da ist klar, dass es nicht von heute auf morgen geht. Wir wollen lieber auf Dauer eine Gemeinde von wirklich Interessierten aufbauen,“ so Stempfle. Unentbehrlich sei auch die Mitarbeit von Ehrenamtlichen aus dem Schlaatz, um persönliche Kontakte herzustellen und Vertrauen zu gewinnen. „Einige sehen uns als ein autoritäres Hilfsprojekt, das sind wir aber nicht, denn so etwas würde hier nie funktionieren.“ Stattdessen gehe es vorrangig darum, so viele Anwohner wie möglich mitgestalten zu lassen.

Bis jetzt ist die Sterngemeinde vom Erfolg des Projektes überzeugt. Gemeindehelferin Sieglinde Rademacher freut sich besonders über die positiven Rückmeldungen aus dem Schlaatz. „Es hat sich bereits ein harter Kern an Gemeindemitgliedern gebildet und auf den kirchlichen Weihnachtsmarkt ließen sich gleich mehrere hundert Schlaatzbewohner ein.“ Auch die Zusammenarbeit mit anderen sozialen Einrichtungen vorort funktioniere hervorragend. Zuviel Engagement aus der Sterngemeinde sucht Stempfle jedoch nicht: „Jeder der vom Schlaatz kommt ist willkommen. Nur die missionarisch Veranlagten aus anderen Gemeinden wurden ausgeladen – wir wollen hier im Viertel Wurzeln schlagen, nicht in Babelsberg.“ Dass der Diakon und seine Familie selbst am Schlaatz wohnen, ist für ihn keine Geste, sondern eine Selbstverständlichkeit. „Wir sind eben Teil dieser Gemeinde und unsere Wohnung stellt einen notwendigen Anlaufpunkt dar.“

Ohnehin sei der Schlaatz zwar ein Problemviertel, aber trotzdem viel besser als sein Ruf. „Hier ist vor allem Armut das Thema. Von Kriminalität kriegen wir nicht viel mit.“ Gerade die Armut mache es aber auch schwieriger die Menschen zu erreichen. „Armut lebt in Deutschland vor allem zurückgezogen,“ meint Stempfle. Umso wichtiger sei es, einzelne Bekanntschaften zu vertiefen und durch sie auch andere zu erreichen. Bis jetzt sei ihnen dieses gut gelungen.

Ob das Projekt tatsächlich Fuß fasst, will die Sterngemeinde Ende April prüfen. Stempfle ist zuversichtlich: „Die Erprobungsphase haben wir eigentlich jetzt schon erfolgreich abgeschlossen. Uns geht es hauptsächlich darum, uns langfristig zu etablieren.“ Um diese Stabilität zu gewährleisten, sei seine Stelle vorerst auf drei Jahre festgelegt – bis dahin soll sich herausstellen, ob sie die Anwohner überzeugen können mitzuwirken. MiM

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