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Landeshauptstadt: Die Mitte unter einem guten Stern

Rückkehr als neuer Landtag: Tausende Bürger feierten gestern Richtfest für das Stadtschloss

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Innenstadt - Angesichts tausender Menschen auf dem Alten Markt bringt es Ruthild Detlefs erfreut auf den Punkt: „Die Potsdamer sind ja phlegmatisch, aber heute kriegen sie endlich einen Knick in die Beine.“ Lange Schlangen bilden sich vor dem Fortunaportal, jeder will anlässlich des Richtfestes erstmals den Innenhof des Landtagsschlosses sehen. Das Bild der Wartenden wird zum Mahnmal für das Fehlen der seitlichen Eingänge, deren Wiederkehr die Bürgerinitiative Mitteschön vergebens gefordert hat. „Die Politiker wollen unter sich bleiben“, glaubt Monika Ludwig, eine Potsdamerin. Barbara Kuster, Mitteschön-Vorkämpferin der ersten Stunde, steht neben einem Dankeschön-Buch für Knobelsdorff- und Kupferdach-Spender Hasso Plattner – und will an diesem Abend nicht kritisieren. Sie ist „überglücklich, ich könnte heulen“. Freilich: Trotzdem müsse man schon sehen, ob auch alles richtig gemacht wird. Wenig später, im Innenhof, erinnert sie sich, wie sie als Kind in der Stadtschloss-Ruine spielte. „Ich war die Königin und das mein Schloss.“

Und da steht ein Bayer! Nein, es ist der 72-Jährige Heinz Galz aus der Potsdamer Ludwig-Richter-Straße, der nur wie immer seinen Tiroler-Hut und den Wanderstock trägt. Den Ministerpräsidenten Matthias Platzeck kenne er noch aus einer Zeit, als der ein kleiner Junge war. In der Hand hält Galz eine Originalfliese aus dem Stadtschloss, die er in den 1950er Jahren aus den Ruinen geborgen und im Keller aufbewahrte. „Diese Fliese schenke ich Matthias gleich.“

In der roten Schaustellen-Box: Eine Kontroverse unter drei Männern verdeutlicht den schweren und langen Weg, den die Potsdamer bis zum gestrigen Tag zurücklegen mussten. „1959 – da hatten wir andere Sorgen, als ein Schloss wieder aufzubauen. Ich hab’ damals in einer Laube gehaust“, sagt Ulrich Höhne. Außerdem habe der Krieg kaum etwas übrig gelassen vom Schloss. Günther Klöchsing wiederspricht: „Trotzdem, die hätten es wieder aufbauen sollen, aber die wollten ja einen neuen Typus Mensch schaffen.“ Dieter Fritz wirft ein, „nach dem Krieg ist mehr kaputt gegangen als vor dem Krieg“. Dann schlagen sich die Männer gegenseitig auf die Schulter und versichern einander, sich trotz unterschiedlicher Meinungen nicht Gram zu sein.

Seine Sorgen hat Dietmar Ritter mit auf den Alten Markt gebracht. Auf der Rückseite seines Rollstuhls steht auf einem Schild die Forderung, das Staudenhof-Wohnhaus müsse erhalten werden. Das Gebäude mit 182 Kleinstwohnungen soll dem Umbau der Potsdamer Mitte zum Opfer fallen. Viele Ältere leben dort seit Jahrzehnten, bilden eine Gemeinschaft. Andere Wohnungen in Potsdams neuer Mitte können sie sich nicht leisten, versichert der Mann.

Dann – nach den Reden der Politiker, die ihre Lernfähigkeit lobten, da ihnen die Stadtschloss-Architektur von den Bürgern erst abgerungen werden musste – endlich der Höhepunkt: Von einem der Kräne wird der Richtkranz in die Höhe gezogen. Ein junges Paar umarmt sich. Die Potsdamer klatschen begeistert. „Wo 42 Prozent eine Mehrheit sind, sollten keine Schlösser gebaut werden sondern Schulen“ – Losungen wie diese, hervorgebracht von den Stadtschloss-Gegner um Lutz „Revolutz“ Boede, verlieren angesichts der tausenden glücklichen Menschen an diesem Richtfestabend ihre empirische Basis. Selbst BAM-Vorstand Alexander Naujoks, wegen seiner Lesebrille wohl eher einer vom Typ kühler Rechner, bekennt, er habe „noch nie so viele Menschen bei einem Richtfest gesehen“. Relativ kalt lasse ihn zumindestens der Streit ums Stadtschloss. Der Grund: „Ich komme aus Stuttgart“, wo das Tauziehen um den neuen Großbahnhof mit noch härteren Bandagen ausgefochten wird.

Als für die Lasershow das Scheinwerferlicht ausgeht, fällt vielen Richtfestgästen der einzige Stern auf, dessen Licht die Trübigkeit des Nachthimmels über dem Alten Markt durchdringt. Er wird Abendstern genannt, ist aber ein Planet, die Venus. Unter dem Wummern monumentaler Sounds schießen plötzlich Laserstrahlen über den Platz, Rauchschwaden steigen auf, bilden das Medium, den Äther für das farbenreiche Spektakel. Die Potsdamer scheinen wenig beeindruckt, aber froh. Sie bekommen ja, was sie wollen.

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