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Podiumsdiskussion über „Europäische Zugehörigkeiten“ im Schloss Genshagen
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„Was bedeutet Zugehörigkeit in einer von Wanderungsbewegungen geprägten Welt?“ Dieser Frage stellten sich die Teilnehmer in einer von der Stiftung Genshagen ausgerichteten Podiumsdiskussion am vergangenen Freitag. Ort der Veranstaltung war das Schloss Genshagen, Sitz des „Berlin-Brandenburgischen Instituts für Deutsch- Französische Zusammenarbeit in Europa“. Als Referenten der Podiumsdiskussion traten, neben Institutsdirektor Prof. Dr. Rudolf von Thadden, der US-amerikanische Historiker Prof. Dr. Fritz Stern, Bundesinnenminister Dr. Wolfgang Schäuble und der ehemalige Bundespräsident Dr. Richard von Weizsäcker auf. Die Veranstaltung bildete den Auftakt einer von der Stiftung Genshagen initiierten Tagungsreihe zum Thema „Europäische Zugehörigkeiten in der Kontroverse.“
„Identitätsdiskussionen können auch trennen“, so begann Rudolf von Thadden, 74-jähriger Historiker, vor den über 40 geladenen, internationalen Gästen aus Wissenschaft und Politik. Mit dem Begriff „Zugehörigkeit“ benannte er das neue Zauberwort in dem derzeitigen Diskurs über verschwimmende Identitäten. Von Thadden stellte an die Teilnehmer des Podiums die Frage, wie wir Deutschen erreichen könnten, dass sich zugewanderte Menschen stärker deutsch fühlten und sich in der Gesellschaft engagierten.
Fritz Stern, der 1938 als 12-Jähriger mit seiner jüdischen Familie aus Nazi-Deutschland in die USA floh, stellte den Begriff der „Zugehörigkeit“ zu seiner eigenen Biographie in Beziehung. Das Gefühl des „Ausgestoßenseins“ habe er genauso erfahren wie den Prozess der Integration. Das Einwanderungsland USA nannte er ein gutes Beispiel, wie neue politische Zugehörigkeit erlernt und kulturell-historische Zugehörigkeiten bewahrt werden könnten. „Zusammengehörigkeit muss Diversität anerkennen“, so Sterns Botschaft. Die Erlernung der Sprache und ein umfassendes Geschichtswissen, beides vermittelt in der Schule, stellten laut Stern die Grundpfeiler einer erfolgreichen Integration dar. Diese sei, wie am Beispiel USA ersichtlich, trotz allem kompliziert. Stern resümierend: „Zugehörigkeit darf nicht verordnet werden, Diskriminierung muss bekämpft werden“.
Richard von Weizsäcker drückte in seiner Rede sein Unwohlsein mit dem Phänomen der „Identitätssuche“ aus. Zugehörigkeiten würden für ihn vor allem durch Anerkennung der Rechtsordnung geschaffen. Von Weizsäcker verwies auf die in den letzten 20 Jahren gewachsene Rolle der Religion. Er betonte die Wichtigkeit der Trennung von Staat und Religion und der Achtung der Werte des, so Weizsäckers theoretisierende Formulierung, „religiös Letzten“.
Der Beitrag des Bundesinnenministers Wolfgang Schäuble stand noch ganz unter dem Eindruck der Islamkonferenz. Schäuble forderte in seiner pointierten Rede einen Staatsvertrag mit den islamischen Körperschaften. „Wir müssen der nicht-muslimischen Bevölkerung klar machen: Die Muslime sind Teil von uns!“, so Schäuble. Die Entwicklung deutscher Identitätsbildung schätzte er durchaus positiv ein: „Deutschland ist im Jahr 2006 der Balance in der Identitätssuche ein Stück näher gekommen.“
In der anschließenden, angeregt geführten Diskussionsrunde formulierte Gunter Pleuger, Botschafter a.D., ein eingängiges Motto: „Pluralismus im Innern und Multilaterismus nach Außen: Je mehr Gruppenzugehörigkeiten jeder Einzelne eingeht, desto mehr Stabilität gewinnt die Gesellschaft.“
Im Abschluss schwankten die Beiträge zwischen Gedanken zum laizistischen Staatsmodell Frankreichs, zur Identitätskrise in Mittel- und Osteuropa und zu Integrationsproblemen von Muslimen. Die Eindrücke von der Diskussion fasste Tetjana Pawlush, ukrainische Historikerin am Berliner Kolleg für vergleichende Geschichte, zusammen: „Leider konnte die Veranstaltung wichtige Themen nur anschneiden.“ Am 27./28. Oktober wird im Schloss Genshagen ein vertiefendes Seminarwochenende zu gleicher Thematik stattfinden. Eik Doedtmann
Eik Doedtmann
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