
© Guido Berg
Von Guido Berg: Die Mütter werden sie lieben
Sonderzug aus Pankow: In Berlin wird Potsdams erste Variobahn montiert, eine Tram mit Platz für sechs Kinderwagen
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Potsdam/Berlin - Sie werden dringend erwartet: Die 17 Combinos, die derzeit auf dem Potsdamer Schienennetz unterwegs sind, können den Bedarf an Niederflurigkeit nicht decken. Eltern, die regelmäßig ihren Kinderwagen in eine hochflurige Tatra-Straßenbahn wuchten, wissen das nur zu gut. Nun sind zehn neue Trams mit einem fast ebenerdigen Einstieg bestellt – wenn auch nicht bei Siemens, deren Combinos erst nach einem intensiven Umbau dem Dauerbetrieb standhalten. Zum Zuge kam bei der jüngsten Tram-Order aus Potsdam der Hersteller Stadler, der seine Variobahn in den Werken Pankow und im brandenburgischen Velten montiert. In Pankow ist nun die erste Variobahn in den grün-weißen Farben des Potsdamer Verkehrsbetriebes VIP im Bau. Gestern durften Journalisten und Mitglieder des ViP-Aufsichtsrat erste Blicke auf Potsdams neue Tram-Hoffnung werfen.
Das Werksgelände in Pankow ist imposant, die Stadler-Montagehalle ist ein Neubau, gleich nebenan baut die französische Firma Alstom in einem ehemaligen Bergmann-Borsig-Werk Kraftwerksturbinen. Vier verschiedene Schienenfahrzeuge werden in der Stadler-Halle nebeneinander stehend montiert. Dicht an dicht stehen die Züge, die einen noch im Rohbau, die anderen fast auslieferungsbereit. An mehreren Regio-Shuttle wird gleichzeitig gearbeitet. Dem dieselmotorbetriebenen Kurzzug war schon vor Jahren das Aus prophezeit worden. Fehlanzeige, sagt Stadler-Sprecherin Kathrin Block schmunzelnd, 420 Stück hat Stadler davon verkaufen können und im Augenblick werde ein Auftrag über 38 Regio-Shuttle für Oberfranken abgearbeitet. Die Züge entstehen nicht auf dem Fließband, sie werden vielmehr vom Rohbau bis zur Komplettausstattung an ein und derselben Stelle montiert. Zum Schluss erfolgt die „Hochzeit“, die Fahrzeughüllen gelangen per Luftkissen-Fahrzeug vom Montageplatz zur Schiene, wo es mit den Drehgestellen verbunden wird. Danach verlässt es auf der Schiene das Pankower Werk und kommt nach Velten auf das Testgelände.
Weiter im Bau ist der „Flirt“, ein Regional-Triebzug, und der „Tango“, eine 120-km/h-schnelle Straßenbahn als Flugplatzzubringer für die Stadt Lyon. Dicht gedrängt stehen die Züge, nur eine größere Fläche ist frei, was Neugier auslöst. „Hier steigt morgen unsere Weihnachtsfeier“, sagt Kathrin Block.
Und da ist sie, an der grün-weißen Farbe sofort zu erkennen: die erste Variobahn für Potsdam. Sie steht neben einer Variobahn für Graz und einer für München. Keine schlechte Gesellschaft, findet die Stadler-Sprecherin. In Details unterscheiden sich die Bahnen, so ist das Design der Front unterschiedlich. Bei Potsdams Tram fällt das Fehlen von Rückspiegeln auf. Stattdessen hat sie auf jeder Seite eine Rücksicht-Kamera, der Fahrer hat im Cockpit ein Bildschirm, auf der er vier Kamerabilder gleichzeitig einsehen kann. Für den Überblick im Zuginneren sorgen zehn Kameras. Den Vorteil von Kameras statt Rückspiegel erläutert Sebastian Fürschke, Projekt-Ingenieur beim ViP. Durch Spiegel kann der Fahrer geblendet werden; Kameras dagegen werden auf einen schwarz-weißen Nachtmodus umgestellt. Weitere Vorteil: Ein Knopfdruck und die Kamerabilder sind auf der Festplatte gespeichert, was potentielle Vandalisten und Randalierer wissen sollten.
Gebaut wird im Drei-Schicht-Betrieb, das Werk ist ausgelastet. Interessantes Detail für Laien: Die Bahnen werden nicht zusammengeschweißt oder -genietet, sondern geklebt. Mittels Spezialklebern kleben die Arbeiter die Außenhaut an die stählerne Grundkonstruktion.
Interessante Neuerung der Variobahn gegenüber dem Combino: Bis zu sechs Kinderwagen können mitfahren, beim Combino sind es zwei. Weiter wird die Variobahn über zwei Fahrkartenautomaten verfügen – einer vorn, einer hinten – die auch EC-Karten-tauglich sind. Für angenehme Temperaturen im Zug sorgen zwei Klimaanlagen für die Passagiere und eine Klimaanlage für den Fahrer. Sollte der Tram-Pilot dennoch einmal ohnmächtig werden, was nicht ausgeschlossen werden kann, wird es die Bahn daran merken, dass der „Druckmanntester“ nicht gedrückt ist. Der Schalter, mit dem der Fahrer die Bahn anfährt und beschleunigt, muss permanent nach untern gedrückt werden. Lässt der Fahrer den Kommandostick los, ertönt ein Warnsignal. Bleibt dies ohne Reaktion, stoppt die Tram automatisch.
Bereits im Januar 2011 geht Potsdams erste Variobahn zum Test nach Velten. Dort wird versuchsweise auch mit Höchstgeschwindigkeit von 70 km/h gefahren, obwohl in Potsdam nicht mehr als 60 Sachen erlaubt sind. Nach Potsdam kommt das gute Stück dann im April, wird an die Streckenbedingungen angepasst und voraussichtlich ab September den Linienbetrieb aufnehmen.
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