Landeshauptstadt: „Die Nacht von Potsdam“ – ohne Neuauflage
Hans-Werner Mihan dokumentierte den englischen Bombenangriff auf Potsdam
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Hans-Werner Mihan dokumentierte den englischen Bombenangriff auf Potsdam Hans-Werner Mihan greift zu einem dicken Band in seinem Bücherschrank: Aufzeichnungen in Schreibmaschinenlettern, dazu Zeichnungen und Dokumente – ein Tagebuch über seine Kriegserlebnisse. Im Arbeitszimmer seiner Wohnung in der barocken Innenstadt stapeln sich Unterlagen und Aufzeichnungen. Auf einer Manuskriptseite sind originale Stanniolstreifen aufgeklebt. Diese Silberschlangen warfen alliierte Flugzeuge ab, um die deutschen Funkmessgeräte außer Betrieb zu setzen. Der heute fast 78-Jährige hat als Luftwaffenhelfer und später als Soldat den Krieg erlebt, sah und hörte am 14. April die Bomben auf seine Geburtsstadt Potsdam niedergehen. 1997 hat er die schicksalsschweren Minuten und deren Vorbereitung und Planung in seinem Buch „Die Nacht von Potsdam“ herausgebracht – die einzige umfassende Dokumentation, die es über dieses Ereignis gibt. Mihan ist ein nüchtern denkender Mann. „Vieles, was über den Luftangriff verbreitet wurde, passte nicht zusammen“ nennt er als Motiv für seine Arbeit, die er im Jahre 1990 begann. „Ich war einfach neugierig, mich hat das von der geschichtlichen Seite her interessiert.“ Mit der Neugierde eines Wissenschaftlers – Mihan ist als Geschichtslehrer ausgebildet – machte er sich an die Arbeit. Gewöhnlich studiert ein Historiker die Literatur, befragt Zeitzeugen und sucht in Archiven nach Dokumenten. Doch Mihans Überraschung war groß: „In Potsdam war nicht ein einziges Dokument vorhanden.“ Mit einer Ausnahme. Und die ist dem damaligen Brauerei-Lehrling Martin Bartel zu verdanken. Dieser war im Sommer 1946 in der Leipziger Straße unterwegs, als herumfliegende Blätter seine Aufmerksamkeit erregten. Sie stammten aus dem ehemaligen 4. Polizeirevier in der Leipziger Straße – Berichte vom Angriff. Bartel übergab die Blätter später dem Autor. Mihan zieht eine dicke Mappe aus dem Aktenschrank. Zwischen Folien bewahrt er Fotos auf, welche die in der „Nacht von Potsdam“ untergehende Stadt zeigen. Die Fotos hatte er sich wie auch Logbücher der Flugzeugbesatzungen aus England besorgt. „Ich habe Aufsätze in englischen Fliegerzeitschriften veröffentlicht und am Ende noch lebende Zeugen aufgefordert, sich zu melden“, berichtet er. Seine Aufrufe hatten Erfolg. Fünfzehn Besatzungsmitglieder meldeten sich und schickten Unterlagen. So heißt es im Bericht der Lancester PB 962: „22.50 Uhr: Der Master-Bomber sagte: “Bombardiert die grünen Markierungen!“ Wir befolgten den Befehl. Wir konnten nicht erkennen, wohin unsere eigenen Bomben fielen “ Diese und ähnliche Berichte geben einen Einblick in die blinde Maschinerie dieses nächtlichen Angriffs. Die Resonanz nach dem Erscheinen des Buches war sehr groß. „Sie reichte von Zustimmung bis zu dem Satz: Wie kann man sich mit Kriegsverbrechern an einen Tisch setzen?“ – berichtet Mihan. Manch einer, der Angehörige unter dem Bombenhagel verloren hatte, nahm es dem Buchautor übel, dass er mit den Piloten korrespondiert und Bilder der Besatzungen vor ihren Lancaster-Maschinen im Buch abgedruckt hatte. Aufräumen konnte der Autor mit manchen Irrtümern und Falschinformationen. So ist die Zahl der beim Luftangriff getöteten Personen mit 5000 beziffert worden. „Eine Propagandazahl“, sagt Mihan, der auf die akribische Zählung des ehemaligen Chefs der Friedhofsverwaltung Karl-Heinz Voß verweist. Danach gilt die Zahl von 1593 Getöteten als sicher. Dazu kommen weitere 200 nicht identifizierte Opfer. „Wenn die gesamte Stadt Potsdam angegriffen worden wäre, dann hätte es wesentlich mehr Tote gegeben“, so die überraschende Feststellung Mihans. Zusammen mit dem Munitionsbergungsdienst hat er eine Karte erarbeitet, auf der die Abwürfe mit roten Markierungen gekennzeichnet sind. Sie zeigen eindeutig: Der Angriff galt dem Bahnhof. Die Windtheorie, nach der die Bomben in Richtung Süden abgedriftet seien, könne nicht stimmen, weil der Wind zur Angriffszeit aus Nordosten wehte. Die 2500 Exemplare des Buches mit dem Bild des brennenden Stadtschlosses auf dem Umschlag sind längst vergriffen. Wird es im 60. Jahr des Gedenkens an den Luftangriff britischer Bomber auf Potsdam eine Neuauflage geben? „Wahrscheinlich nicht“, sagt der Autor. Der Verlag verlange nämlich einen Vorschuss auf die Druckkosten in Höhe von zehntausend Euro. Hans-Werner Mihan kann diese Summe nicht aufbringen. „Aber vielleicht findet sich ein Sponsor“, sagt er voller Hoffnung.
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