Landeshauptstadt: Die Namen der Täter
„Sensationeller Quellenfund“: Die Gedenkstätte Leistikowstraße informiert ab 18. April auch über die sowjetischen Gefängnischefs der Jahre 1945 bis 1955
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Nauener Vorstadt - Wenn am 18. April 2012 die lang erwartete Dauerausstellung im ehemaligen sowjetischen Geheimdienstgefängnis Leistikowstraße 1 eröffnet wird, kann Gedenkstättenleiterin Ines Reich der Öffentlichkeit überraschende Forschungsergebnisse präsentieren: So ist es der Historikerin und ihren Mitarbeitern gelungen, sowohl Namen als auch Fotos aller fünf Gefängnisleiter der Zeit zwischen 1945 und 1955 ausfindig zu machen. „Es wusste niemand, wie sie hießen, wie sie aussahen“, erklärte die Gedenkstättenleiterin gestern vor Journalisten. Ines Reich: „Jetzt bekommen die Täter einen Namen.“
1945 wurde die 1916 vom Evangelisch-Kirchlichen Hilfsverein (EKH) errichtete Villa in der Großen Weinmeisterstraße zum zentralen Untersuchungsgefängnis der sowjetischen Spionageabwehr in Ostdeutschland umfunktioniert. Die Untersuchungshäftlinge – darunter bis 1955 viele Deutsche – wurden in der Leistikowstraße verhört, teilweise misshandelt und durch ein sowjetisches Militärtribunal zu mehrjährigen Haftstrafen oder zum Tode verurteilt. Die Inhaftierung Deutscher diente nicht nur der Entnazifizierung, sondern in starkem Maße der Herrschaftssicherung durch Verfolgung und Verängstigung. Ein häufiger, nicht selten gegenstandsloser Vorwurf lautete: Spionage für westliche Geheimnisse.
Neues Wissen und Material über die Täter verdankt die Gedenkstätte einem „sensationellen Quellenfund“, erklärte Ines Reich. „Am Ende ist es Spürsinn“, berichtet die Gedenkstättenchefin: „Wir haben einen Mitarbeiter ins amerikanische Nationalarchiv geschickt – und er kam mit der Beute nach Hause.“ Diese besteht aus dem, was ein sowjetischer Überläufer dem amerikanischen Geheimdienst CIC – Counter Intelligence Corps – „als Morgengabe“ mitbrachte. Rafael Goldfarb, so sein Name, Sohn Petersburger Juden, war Dolmetscher in der Ermittlungsabteilung des Untersuchungsgefängnisses in der Potsdamer Leistikowstraße. 1949 lief er über – mit Hunderten Fotos und Kurzdossiers über seine vormaligen russischen Geheimdienstkollegen. Diese Unterlagen konnten für die Dauerausstellung, die sich seit Dienstag dieser Woche im Aufbau befindet, ausgewertet und genutzt werden. Das Bedeutsame daran ist, wie die promovierte Historikerin erklärte: Aus russischen Quellen konnten selbst in der Zeit, als sich die Archive in Moskau für kurze Zeit öffneten, nie Täterunterlagen eingesehen werden.
Das größte Augenmerk der von der Bundesregierung und dem Land Brandenburg mit 908 000 Euro finanzierten Ausstellung gilt indes den Opfern. „Wir brechen die Täterbiografien mit den Erinnerungen der Häftlinge“, erklärte Ines Reich. Ausstellungsbesucher werden mit den Biografien, Lebensskizzen und persönlichen Schilderungen von 50 ehemaligen Häftlingen konfrontiert. So erinnert eine Schautafel an die Ukrainerin Ljubow Meins, die einen Deutschen geheiratet hatte und in einem Hotel für sowjetische Offiziere in Luckenwalde arbeitete. Der Spionage verdächtigt, wurde sie in der Leistikowstraße vernommen, zum Tode verurteilt und 1950 in der Moskauer Geheimdienstzentrale Lubjanka erschossen.
Ein besonderer Schwerpunkt der Ausstellung widmet sich den Inschriften von Häftlingen an den Wänden der Kellerzellen. Mehr als 40 Biografien von Inschriftenautoren konnten recherchiert werden. Wie Ines Reich erklärte, wird es dazu zur Ausstellungseröffnung eine gesonderte Publikation geben, in der auch der Fall von Elisabeth Reich nachzulesen sein wird. Die im Februar 1953 verhaftete damals 20-jährige Berlinerin wurde zusammen mit ihrem Verlobten Erich Steinig in der Leistikowstraße festgehalten, freilich nicht in derselben Zelle. Ines Reich hat die heute unter anderem Namen im Ruhrgebiet lebende Frau interviewt. „Furchtbar verliebt“ wie sie war, berichtet die Historikerin, ritzte sie mit einem Holzspan das Abbild eines Mannes und einer Frau in den Kalk der Gefängniswand.
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