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Homepage: Die Natur als Kirche

„Civitas“ über ein rätselhaftes Kunstwerk

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Es war ein Einblick in eine fremde Welt. „Beginnen wir mit dem Zauber.“ Mit diesen Worten eröffnete Prof. Jelena Jamaikina die vierte „Civitas“-Vorlesung dieses Semesters an der Potsdamer FH. Bei dem jüngst im „Schaufenster“ der FH gehaltenen Vortrag ermöglichte die Professorin vom Fachbereich Design einen Einblick in die rätselhafte Welt eines exzentrischen Gesamtkunstwerks.

Etwa eine Stunde nordöstlich von Prag liegt der so genannte Neuwald von Bad Kuks. Dort, an den Ufern der Elbe und mit Blick auf das Riesengebirge, liegt eines der bemerkenswertesten Kunstwerke des europäischen Barocks. Von 1720 bis 1732 gestaltete der Bildhauer Matthias Braun einen Wald voller überlebensgroßer und geheimnisvoller Steinfiguren. Das Ensemble, das auf seine Anerkennung als Weltkulturerbe wartet, ist das Vermächtnis von Franz Anton Graf Sporck.

Muskulöse Einsiedler, verzweifelte Höhlenbewohner und eine hingestreckte Maria Magdalena wachsen aus dem grauen Sandstein des Waldbodens. So etwa der heilige Garinus, der sich an der Tochter eines katalanischen Grafen vergangen haben soll. Zur Sühne bezog er eine Höhle im Wald. Als er eines Tages von Jagdhunden aufgespürt wurde, brachten ihn die Jäger nach Barcelona, wo ihm seine Sünden vergeben wurden. Die Figur steht für das urchristliche Gedankengut, das den Grafen Sporck inspirierte. Dieses Gedankengut geht zurück auf die ersten vier Jahrhunderte nach Christus. Im Barock erschien es als eine Alternative zum Katholizismus. Auch Graf Sporck, dessen Familie im Dreißigjährigen Krieg zu immensem Reichtum gelangt war, hatte sich der asketischen Moral des Jansenismus zugewandt. Diese religiöse Strömung, die im französischen Kloster von Port Royal bis 1711 beheimatet war, verlegte Glaubensfragen in das Gewissen des Einzelnen. Gegen die päpstliche Autorität sah Graf Sporck das Heil im Rückzug aus der Welt. Die Figuren im tschechischen Neuwald, so Prof. Jamaikinas Deutung, lassen sich nur vor diesem Hintergrund verstehen. Die Welt des Waldes wird so zu einem Ort der religiösen Erfahrung. Die Natur wird zur Kirche.

So ermöglichte Prof. Jamaikina einen Blick auf einen „anderen“ Barock, jenseits des weit verbreiteten Prunks europäischer Schlösser. Statt des Goldes, der Spiegel und der geometrischen Gartenanlagen dominiert im „Neuwald“ die wilde Natur. Selbst Baumstämme wurden zu „lebenden“ Skulpturen geschnitzt. Mit dieser Abkehr von den dominanten künstlerischen und religiösen Strömungen des Barocks passt der Neuwald in das aktuelle Motto der „Civitas“-Vorlesungen, die in diesem Semester mit „Das Andere – Das Fremde“ überschrieben ist. Doch dies ist nicht die einzige Verbindung zwischen Potsdam und dem unheimlichen „Neuwald“. In einem langfristigen Projekt hat das Institut für Bauforschung und Bauerhaltung der FH die Kulturlandschaft um Bad Kuks erstmalig in einer Datenbank erfasst. Nun setzen sich Potsdamer Forscher dafür ein, dass dieses andersartige Kunstwerk als Unesco-Weltkulturerbe anerkannt wird. Mark Minnes

Nächste „Civitas“-Vorlesung: 26. November, 18 Uhr, Schaufenster der FH, Friedrich-Ebert-Str. 6.

Mark Minnes

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