zum Hauptinhalt

Abstrakt und spiritistisch: Die Neuentdeckung der Malerin Hilma af Klint

Die Geschichte der abstrakten Malerei muss neu geschrieben werden. Das jedenfalls findet Julia Voss, Kunstwissenschaftlerin und leitende Feuilletonredakteurin der Frankfurter Allgemeinen Zeitung.

Stand:

Die Geschichte der abstrakten Malerei muss neu geschrieben werden. Das jedenfalls findet Julia Voss, Kunstwissenschaftlerin und leitende Feuilletonredakteurin der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. Als sie die Bilder der schwedischen Malerin Hilma af Klint erstmals im Museum sah, war sie sofort fasziniert. Denn Klints Bilder sind ungewöhnlich: weite Kreise und Schwünge, filigrane Linien und Zeichen. Die Elemente der Bilder scheinen Zeichenhaftes zu vermitteln, sind aber doch nicht eindeutig entschlüsselbar.

Das liegt möglicherweise am spiritistischen Hintergrund der Malerin, erklärte Voss bei einem Vortrag im Einstein Forum in Potsdam am Montag. Ungewöhnlich seien aber nicht nur die großformatigen Gemälde, sondern vor allem die Zeit, in der die Malerin anfing, abstrakt zu malen. 1906 entstanden die ersten Gemälde, auf denen keine Gegenstände abgebildet waren und die als eigenständige abstrakte Kompositionen gelten können. „Was ein abstraktes Bild ist, kann niemand eindeutig sagen, aber jedenfalls spricht die Abwesenheit von Dingen und Gegenständen dafür, das Bild als ein abstraktes zu klassifizieren“, stellt Julia Voss fest.

Bemerkenswert ist, dass die Komposition deutlich vor derjenigen entstand, die bisher von der Kunstgeschichte als Beginn der abstrakten Malerei angesehen wurde. Als unumstößlicher Ahnherr der abstrakten Malerei gilt auch gegenwärtig noch: Wassily Kandinsky, mit einigen Bildern, die dieser um 1910/1911 schuf. Dass Kandinsky als Erfinder der abstrakten Malerei in die Kunstgeschichte eingegangen ist, resultiert auch aus dessen geschickter Selbstvermarktung. „Kandinsky war sich zunächst auch nicht bewusst, dass er einen bedeutenden malerischen Schritt gegangen war. Erst im Nachhinein hat er verbreitet, er hätte 1910 das erste abstrakte Bild gemalt“, so Voss.

Klint hingegen stand die Neuartigkeit ihrer Kompositionen zwar vor Augen, aber sie war wohl nicht so erpicht auf Eigenwerbung. Die Schwedin gab detaillierte Anweisungen, wie ihre Nachfahren mit ihren Bildern und Aufzeichnungen zu verfahren hätten, und dass diese erst 20 Jahre nach ihrem Tod der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden sollten. Dann gingen die Werke an eine Stiftung, wurden in Museen gezeigt. „Das machte sie für den Markt uninteressant. Mit den Werken kann nicht gehandelt werden“, konstatiert Voss. Kunstgeschichte allerdings werde durchaus von Personen geschrieben, die auch merkantile Interessen verfolgen. Zeige das international tonangebende Museum of Modern Art (Moma) in New York eine Ausstellung, in der die Entstehung der abstrakten Malerei dargestellt werde, so tauchen dort typischerweise Maler auf, die sich im Bestand des Hauses oder von Fördergebern befänden. Niemand wolle dort fest stehende Preisgefüge durcheinander bringen und eine Newcomerin etablieren.

Die Bedeutung von Hilma af Klint ließe sich aber wohl nicht mehr lange ignorieren, denn: ihre Bilder sind einfach zu gut und zu erheblichen Teilen radikaler als die Kandinskys. Klint studierte Kunst als dies noch alles andere als üblich war, sie finanzierte sich unter anderem mit Illustrationen für tierveterinärische Bücher und verkehrte in spiritistischen Kreisen, was zu Zeiten der 1862 bis 1944 lebenden Malerin nicht ungewöhnlich war. Große Teile ihrer abstrakten Kompositionen weisen die gleiche Größe wie Heiligenbilder auf. Voss vermutet dabei einen Zusammenhang mit Heiligenbildern, die Klint in Florenz gesehen hatte. Richard Rabensaat

Richard Rabensaat

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
console.debug({ userId: "", verifiedBot: "false", botCategory: "" })