
© Manfred Thomas
Von Patrizia Reicherl: Die Putzuhr gehört dazu
Eine 23-jährige Wahl-Potsdamerin berichtet über ihre Erlebnisse und Eindrücke in Wohngemeinschaften
Stand:
Eine aktuelle Umfrage unter Potsdamer Studierenden zeigt, dass rund ein Viertel von ihnen in Wohngemeinschaften leben, in- und außerhalb von Potsdam. Christiane ist eine davon. Die 23-Jährige ist eine erfahrene WG-Mitbewohnerin. Gleich während ihres ersten Vorpraktika, das sie nach Dresden führte, wohnte sie in einer Wohngemeinschaft. Mit Hilfe eines Cousins fand sie auf der kurzfristigen Suche nach einem günstigen Wohnraum ihr erstes Zimmer in einer WG. Was damals eher Zufall war, ist für die die gebürtige Leipzigerin heute die perfekte Wohnform.
Christianes WG-Erfahrungen sind vielfältig. Nachdem sie in ihrer ersten WG mit einer Frau zusammenwohnte, führte sie der nächste Umzug in eine Männer-WG – mit den typischen Folgen. Plötzlich war sie für das Putzen zuständig, während sich die Jungs um die technischen Dinge kümmerten. Auch im 21. Jahrhundert funktioniert die Aufgabenverteilung unter den Geschlechtern wie von einer unsichtbaren Hand gelenkt, wenn man sie nicht ständig hinterfragt.
Knapp vor Studienbeginn bekam Christiane vor sechs Semestern ihren Studienplatz in Potsdam. Wieder musste es schnell gehen, aber diesmal war die Suche nach einer WG nicht von Erfolg gekrönt. Entweder war der Zustand der Wohnung nicht in Ordnung oder die Leute waren nicht nach ihrem Geschmack. Sie entschied sich für einen Wohnheimplatz, für den sie sich in weiser Voraussicht bereits ein Jahr zuvor angemeldet hatte. Im Wohnheim fand sie ein unsaniertes Zimmer vor, eine permanent schmutzige Küche und eigenbrötlerische Leute. Aber dafür war der Mietraum preiswert. Im ersten Semester nahm sie das Studium der Metallkonservierung sehr in Anspruch. Da war es ein Vorteil des Wohnheims, dass man schnell unter Leuten ist. Christiane nahm sich für ihre Suche nach einem besseren Zuhause ein Jahr Zeit.
In diesem Jahr machte sie die unterschiedlichsten Erfahrungen mit dem WG-Casting. Einige laden alle Bewerber, selbst wenn es 30 sind, gleich auf einmal ein. Da wuselt es dann wild durcheinander. Viele WG-Zimmer werden über Freunde an neue Mitbewohner vergeben. Andere nehmen sich viel Zeit, die Kandidaten kennenzulernen. Da kann ein Vorstellungsgespräch schon mal Stunden dauern. Man merkt auch schnell, so Christiane, wie die Leute miteinander umgehen, ob es sich um eine Zweck-WG handelt oder ob Freunde zusammenwohnen.
Nach zwei Semestern Wohnheim fand sie eine schöne Wohnung mit hohen Wänden, Stuck an der Decke und bezahlbar. Die Eingewöhnungsphase in einer neuen Umgebung ist immer wieder eigenartig. Man begegnet auf dem Weg zum Bad Menschen, die man noch nicht kennt. Die Toleranzschwelle gegenüber Dreck ist unterschiedlich, jede und jeder hat andere Ordnungskategorien und unterschiedliche Vorstellungen vom Zusammenleben. Nach Christianes Einschätzung dauert es rund drei bis sechs Monate, bis man sich in dem neuen Umfeld wohl fühlt.
In den letzten Jahren wechselte die Besetzung der WG einige Male. Auch Christiane war ein halbes Jahr weg, als sie ein Semesterpraktikum in München absolviert, sie wohnte dort natürlich in einer WG. Der Wechsel bedeutet wieder eine Umstellung, eine neues Einlassen auf weitere Personen, neues Kennenlernen, Aneinandergewöhnen. Damit muss man umgehen können. Die WG-Erfahrungen sind hier wie auch die Praktika ein gutes Übungsfeld für das künftige Berufsleben.
Wieder zurück zum Studium ist für Christiane zweierlei klar. Sie wohnt weiterhin in Potsdam, Berlin reizt sie nicht, das ist viel zu weit weg. Und sie zieht wieder in ihre alte Wohnung, diesmal in ein anderes Zimmer, leider in das ohne Stuck. Sie teilt die Wohnung jetzt mit drei gleichaltrigen Frauen, die an der Universität Potsdam Lehramt studieren: Musik, Mathe und Biologie. Die vier sind, wie Christiane sagt, „bunt durcheinander gewürfelt“, impulsiv und ruhig, kreativ und sachlich, sie ergänzen sich gut: „es funktioniert wunderbar“. Weil sie sich verstehen und weil sie Regeln haben. Die Putzuhr gehört dazu, so weiß jede, wann sie womit dran ist. Es gibt ein WG-Konto; eine der Studentinnen fungiert als Geldeintreiberin, wenn es nötig ist. Die Flatrate wird ebenso aufgeteilt wie die Mahnkosten; außer wenn eine der drei explizit verantwortlich ist.
Unter der Woche macht jede ihre eigenen Sachen, kümmert sich um Seminare, Projekte, Prüfungen und sonstiges. Am Wochenende unternehmen die vier etwas zusammen, sie gehen gerne in die Bar gegenüber, kochen gemeinsam und genießen die Geselligkeit. Die Freunde sind gut integriert. Besuche sind für keine ein Problem, selbst die Eltern von einigen übernachten zu Besuch in der WG. Christiane hat vor, ihr Studium in Potsdam zu beenden. Anschließend plant sie, wenn sie in Berlin einen Job findet, Abendkurse zur Spezialisierung oder ein Volontariat im Ausland, in England oder Amerika. Aber sie will auch gerne noch weiter in der WG leben. Sie genießt daran „die Freiheit die man hat“.
Patrizia Reicherl
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