zum Hauptinhalt
Ehrlich und zuverlässig. Auf Zensuren achtet Fleischer Christian Meissner nicht mehr. Es sind andere Qualitäten, die bei seinen Azubis Jonny Albrecht und Katharina Johnen zählen.

© Andreas Klaer

Landeshauptstadt: Die Qual der Wahl

Koch, Kellner, Bäcker: Potsdamer Betrieben fällt es immer schwerer, neue Lehrlinge zu finden

Stand:

Auf die Zeugnisnoten achtet Christian Meissner schon seit Jahren nicht mehr. Der Fleischer aus Babelsberg hat sich das abgewöhnt und es bleibt ihm kaum eine Wahl. 20 Bewerbungen hat der Betriebschef früher bekommen. Jetzt sind es höchstens noch sechs. „Wer wirklich will, dem gebe ich eine Chance“, sagt Meissner – und Jonny Albrecht hat sie genutzt. Trotz einer Fünf in Mathe steht der kräftig gebaute 17-Jährige bei den Meissners hinter der Kasse. „Das war für meinen Chef kein Problem.“

Und trotzdem ist die Lage problematisch, sagt Fleischer Meissner. „Ich brauche die Azubis für meinen Betrieb.“ Sie zu finden, fällt vielen traditionellen Handwerksbetrieben immer schwerer.

Koch, Kellner, Bäcker, Verkäufer – immer öfter bleiben Lehrstellen in Potsdam und Umgebung unbesetzt. Am Montag zog Manfred Pollnow, Geschäftsführer der Agentur für Arbeit in Potsdam, Bilanz über die Situation auf dem Ausbildungsmarkt: 2842 junge Menschen, die das Beratungsangebot der Agentur annahmen, standen in diesem Jahr 3055 offene Stellen gegenüber. In der Stadt Potsdam ist die Lage noch eindeutiger. Dort gab es für 1003 Bewerber 1334 Stellen. „Die Auszubildenden haben einen guten Markt“, sagt Pollnow.

Die Arbeitgeber hingegen schlagen oft die Hände über den Kopf zusammen. Dabei sahen die Voraussetzungen in diesem Jahr dank des doppelten Abiturjahrgangs gut aus. Doch die Gymnasiasten klopften nur selten bei den Betrieben an. Sie studieren, gehen ins Ausland, engagieren sich freiwillig im Sozialen Jahr. So sank die von der Agentur registrierte Zahl der Bewerber sogar um 40 von 2882. Noch im Jahr 2007 zählte man 6546 Bewerber.

So geistert das Wort vom Fachkräftemangel durch die Betriebe, sagt Udo Sobota von der Industrie- und Handelskammer. „Uns graut, dass wir nicht die notwendigen Schulabgänger bekommen.“ Von 34 000 Abgängern vor sieben Jahren sei die Zahl auf 16 000 gesunken. „Wir haben die Talsohle erreicht.“ Schlechter wird es nicht, so ist die Hoffnung. Wäre da nicht noch ein anderer Trend: Etwa 6500 Jugendliche verlassen jedes Jahr die Region, um in Berlin oder anderen Bundesländern zu arbeiten. Allein in Potsdam sind es über ein Drittel der Azubis.

Deshalb müssen die Betriebe reagieren, warnt Ute Maciejok von der Handwerkskammer Potsdam. „Die Azubis werden nicht mehr Schlange stehen.“ Betriebe, die in der Vergangenheit nicht ausgebildet haben, werden es künftig nicht leicht haben. Sie müssen die Bewerber mit Praktika, Prämien und Übernahmeangeboten locken. Auch in den Schulen müsse mehr getan werden, zum Beispiel mit einem Unterrichtsfach Berufsorientierung. Außerdem tun sich noch immer zu viele Bewerber mit den Grundrechenarten schwer.

Doch trotz Fünf in Mathe: „Mit dem Rechnen hat es immer geklappt“, sagt Jonny Albrecht. Nur in Geometrie hakt es. In seinem Job sei er ehrlich, freundlich, zuverlässig. „Darauf hat der Chef geachtet.“ Und ihn genommen. Tobias Reichelt

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
console.debug({ userId: "", verifiedBot: "false", botCategory: "" })