Von Steffi Prutean: Die Rast der Kraniche – ein einzigartiges Schauspiel
Touristen kommen alljährlich zum Bewundern. Ehrenamtliche Zähler erfassen derweil den Bestand der imposanten Vögel
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Linum/Schwedt - Immer wieder dienstags beziehen Frauen und Männer in regenfester Kleidung Stellung. An Feld- und Wiesenrändern im westbrandenburgischen Rhinluch postieren sie sich an ausgewählten Punkten – die Schlafplätze tausender Kraniche fest im Blick. Noch ist der Morgen still. Die 20 bis 30 ehrenamtlichen Kranichzähler zücken Fernglas und Zählbogen. Kurz nach 6.00 Uhr geht es dann los. Am 28. September begann die morgendliche Kranich-Zählung im Rhinluch, die bis zum 11. November dauert. Der Auftakt gleicht einem Paukenschlag: 25 700 Vögel - das hatten selbst die Naturschützer nicht erwartet. Noch am Vortag hatten sie auf etwa 7000 bis 10 000 Tiere getippt, die hier auf ihrem Flug in den Süden rasten und Energie tanken.
„Eins, zwei, drei ... siebenunddreißig.“ Mit geübtem Blick erfasst ein ehrenamtlicher Helfer die von ihren Schlafplätzen auffliegenden Vögel. Während er zählt, füllt ein ein anderer die Tabellen aus. „Das Duo hat ein genau abgestecktes Terrain im Blick“, erläutert Manfred Wolf, Mitarbeiter der Naturschutzstation Rhinluch in Linum (Ostprignitz-Ruppin). Beispielsweise von einem markanten Baum bis zu einem Kirchturm. Säuberlich notieren die Beobachter, was sie sehen. Beispielsweise so: 7.43 Uhr, 24 Tiere. Sehr große Gruppen von Vögeln werden geschätzt. Die Schlafplätze sind weiträumig umstellt. Wolf: „Wir wollen die Tiere nicht stören.“ Damit ihnen nichts entgeht, blicken die Beobachter in alle Himmelsrichtungen.
Beim morgendlichen Ausflug lassen sich die Kraniche gut erfassen, denn meistens fliegen kleine Trupps von 20 bis 80 Vögeln an die „Frühstückstische“. „Doppelzählungen wollen wir vermeiden. Es geht um wissenschaftlich belastbare Zahlen“, betont Wolf. Die Zahlen geben Aufschluss über den Bestand der Tiere und Veränderungen. Fällt bei der Auswertung auf, dass in zwei angrenzenden Gebieten zeitgleich eine ähnlich große Gruppe registriert wurde, gehen die Beobachter davon aus, dass es sich um dieselben Vögel handelt und rechnen einen Trupp heraus. Die Ergebnisse werden im Internet veröffentlicht.
Die rastenden Kraniche locken jährlich viele Besucher in die Region. Um den 15. Oktober herum werden die meisten Vögel da sein, prophezeit der Biologe und verweist auf Erfahrungen vergangener Jahre, in denen 50 000 bis 80 000 Kraniche gesichtet wurden. Um die Vögel von den Feldern der Bauern fernzuhalten, erfolgen Ablenkfütterungen. So wurden in den Vorjahren Maiskörner auf Ersatzflächen gestreut und auch Kraniche von bestimmten Flächen vertrieben. „Doch in diesem Jahr steht der Mais noch. Da müssen wir erst einmal abwarten“, sagt Wolf.
Kraniche schlafen im Stehen, dicht gedrängt in flachen Gewässern und nassen Wiesen. „Es wachen aber immer welche“, beschreibt Wolf das Verhalten der klugen Tiere. „Somit haben Wildschweine, Füchse oder Seeadler keine Chance und drehen ab.“ Morgens erheben sich dann die grau-braunen Vögel im Pulk und fliegen zu den nahen Fressplätzen.
Im Nationalpark Unteres Odertal ist dies für die „Vögel des Glücks“, wie Kraniche in der Mythologie oft genannt werden, zugleich eine Grenzüberschreitung. „Die Tiere schlafen im Unteren Odertal auf polnischer Seite und kommen westlich der Oder in Deutschland zum Äsen“, erzählt Hans-Jörg Wilke vom Nationalpark.
Steffi Prutean
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