Landeshauptstadt: Die Retter des „Dr. Ritter“
Die von Wolzogens waren Freunde und Verwandte von Friedrich Schiller, einer kämpfte gegen Napoleon, ein anderer heiratete eine Tochter Karl Friedrich Schinkels. Heute lebt ein Familienzweig in Potsdam
Stand:
Die von Wolzogens waren Freunde und Verwandte von Friedrich Schiller, einer kämpfte gegen Napoleon, ein anderer heiratete eine Tochter Karl Friedrich Schinkels. Heute lebt ein Familienzweig in Potsdam Von Guido Berg Hanna Delf von Wolzogen und ihr Mann Wolf Heinrich von Wolzogen sind Bürger von Potsdam. Er arbeitet im historischen Museum in Frankfurt am Main, sie leitet das Potsdamer Fontane-Archiv. Wenn er am Wochenende nach Hause kommt, verbringen sie die Abende nicht vor dem Fernseher. In ihrer Potsdamer Hauptwohnung haben sie nicht einmal einen. Wenn Zeit bleibt, ziehen es beide vor, sich gegenseitig Romane vorzulesen. Das Gesicht von TV-Moderator Johannes B. Kerner, sagt sie, kann sie sich nicht ohne weiteres vor das innere Auge rufen. Wohl aber besitzt sie die Kennerschaft für einen Tipp dieser Art: Joseph Roths Roman „Hiob“ sei sehr dafür geeignet, ihn sich einander vorzulesen. Das jüngste Buch, das von Wolzogens so der gemeinsamen Lektüre unterzogen, war die Schiller-Biografie von Rüdiger Safranski – im 200. Todesjahr von Friedrich Schiller (1759 - 1805) ein etwa so angesagtes Werk wie die Bibel vor der Konfirmation. Auf geschätzten 60 Seiten stießen die von Wolzogens wie erwartet auf einen ihnen sehr bekannten Namen, auf „von Wolzogen“. Vorfahren des Potsdamer Ehepaares waren Freunde und Verwandte Schillers. Wilhelm von Wolzogen studierte wie Schiller an der hohen Carlsschule in Stuttgart. Dessen Mutter, Henriette von Wolzogen, half Schiller bei der Flucht aus der Württembergischen Militärschule. Die mütterliche Freundin bot Schiller Zuflucht auf dem Gut derer von Wolzogens im thüringischen Bauerbach. Dort schrieb der Dichter Teile des „Don Carlos“ und das Drama „Luise Millerin“, heute eher bekannt unter dem Titel „Kabale und Liebe“. In die zu jener Zeit gerade 16-jährige Charlotte von Wolzogen, Tochter Henriettes, war Schiller überaus verliebt. Ein Gefühl, das der Stürmer und Dränger wohl nicht ausleben konnte. Die Schwester der späteren Frau Schillers, Karoline von Lengefeld, heiratete Wilhelm von Wolzogen und schrieb die erste Schiller-Biografie, die sie 1830 veröffentlichte. „Wahrheit allein sollte mich leiten im Entwurfe und möglichst klare Einsicht in die Umgebung und die Zeit unseres großen Dichters“, notierte sie in ihrem Einleitungstext. Wilhelm, somit Schillers Schwager, anvancierte zum Weimarischen Geheimrat, war also ein Kabinettskollege Goethes. Wie geht heute jemand damit um, der solche Vorfahren hat? Wolf von Wolzogen setzt sich derzeit sogar beruflich mit seinen Ahnen auseinander. Er arbeitet im Historischen Museum in Frankfurt am Main an einem Projekt der Künstlerin Sigrid Sigurdsson, bei dem er reflektiert, „was meine Familie mit mir zu tun hat“. Für die „Bibliothek der Alten“ erhalten er und 99 weitere Autoren Bücher mit unbeschriebenen Seiten und leere Kassetten, die sie selbst mit historischen und biographischen Betrachtungen füllen. Wolf von Wolzogen schreibt dabei auch über die von Wolzogens. Der 1947 Geborene ist Spross eines alten Rittergeschlechts, das um 1500 in Österreich einmal bedeutsamer war als jenes von Thurn und Taxis. Doch in seiner Schulklasse haben sie ihn ausgelacht, wegen Wilhelm von Wolzogen, der auf der Carlsschule „Stiefelputzer von Schiller“ gewesen sei. „Da habe ich zum ersten Mal erfahren, dass ich was mit Schiller zu tun habe“, erinnert sich von Wolzogen. Schiller war in den Augen seiner Lehrer alles, von Wolzogen nichts. Wie Rüdiger Safranski schreibt, war Wilhelm drei Jahre jünger als der berühmte Autor der „Räuber“ und belegte mit der Kameralistik auch ein anderes Studienfach als der Mediziner Schiller. Er gehörte daher an der Carlsschule nicht zum engeren Freundeskreis des Dichters, überzeugte aber aus heutiger Sicht mit großer Weitsicht. In sein Tagebuch schrieb er über den jungen Schiller: „er kann noch einer von den schönen Geistern Deutschlands werden“ Zwar war Alfred von Wolzogen, der eine Tochter des Baumeisters Karl Friedrich Schinkel heiratete, sogar Theaterintendant in Schwerin. Doch der Ruf der von Wolzogens ist nicht nur von schöngeistiger Natur. Wolf von Wolzogen hat sich für seine „Bibliothek der Alten“ auch mit Hans von Wolzogen (1848 - 1938) auseinander zu setzen. Dieser war mit Richard Wagner befreundet und gab dessen Bayreuther Blätter heraus. Eine gewisse antisemitische Note gehörte im 19.Jahrhundert zum Diskurs des Bürgertums, erklärt Hanna Delf von Wolzogen. Bei Manchem habe der Name von Wolzogen in Bayreuth aber immer noch einen antisemitischen Klang. Für jemanden, der 1968 in der alten Bundesrepublik ein 21 Jahre alter Student war, ist „das Hinterfragen“ dessen, was Väter und Großväter getan haben, nicht bloßes Geschichtsinteresse. „Ich gehe kritisch damit um, dass Hans von Wolzogen Antisemit war“, so Wolf von Wolzogen, der einst ein Semester bei dem Philosophen Max Horkheimer studierte. Max Horkheimer, unorthodoxer Marxist, Mitbegründer der Frankfurter Schule – der übliche ideelle Umgang für einen Adligen? „Wir waren 68er“, merkt Hanna Delf von Wolzogen an und ihr Mann erklärte, er habe damals sogar gegen den Vietnam-Krieg demonstriert. Und das bei dieser Familie, in der ein Ludwig von Wolzogen, der sich in jungen Jahren von Schiller über die Geschichte des Dreißigjährigen Krieges unterrichten ließ, auf der russischen Seite unter Kutusow gegen Napoleon kämpfte. Dies brachte ihm als Teilnehmer der Schlacht von Borodino eine Nennung in Leo Tolstois Roman „Krieg und Frieden“ ein. Aber soweit muss der Antimilitarist nicht zurückgehen, um auf uniformierte Ahnen zu stoßen. Sein Großvater, Heinrich Prinz von Schönburg-Waldenburg, war Flügeladjudant von Kaiser WilhelmII.. Sein eigner Vater, 1910 geboren, wurde zwar 1939 Soldat, erlitt aber einen Reitunfall und schied aus der Berufsoffizierslaufbahn aus. „Er hat sich so an der Heimatfront durchgeschlagen“, sagt Wolf von Wolzogen in einer Tonart, die verrät, dass er den Namen seines Vaters lieber unter den Hitler-Attentätern gefunden hätte. In der Manier von Heinrich Bölls „Wo warst Du, Adam?“ verlangt der Sohn von seinem Vater Rechenschaft über sein Handeln im Krieg. „Es war eine gewisse Angst da, dass ich von ihm etwas erfahre, mit dem ich geschlagen bin.“ Doch die Sorge war unbegründet, „mein Vater war kein Held, aber es gibt auch nichts, was ihm vorzuwerfen wäre“, sagt Wolf von Wolzogen. Nur das sein Vater immer so ausweichend antwortete, nie hat er sich ihm gegenüber geöffnet. Erst heute, wo er den Nachlass sichtet, erfährt er mehr über ihn. „Ich habe wohl zu insistierend gefragt“, sagt der Pädagoge und Kulturwissenschaftler. „Ich dachte, ich bin im Recht des kritisch denkenden Menschen, der wissen will“. „Permanente Diskussion“, das war 1968 die Devise. 1998 unternimmt er für einen Heimatverein ein Interview mit seiner Mutter. Die Jahre ihrer Kindheit und Jugend im Dritten Reich waren ihre glücklichsten, sagte sie. Zwei Jahrzehnte zuvor hatte er seinen Vater zu einer solchen Aussage nicht kommen lassen – „wir waren zornige junge Menschen, wir wollten so etwas nicht hören“. Sind Hanna Delf und Wolf von Wolzogen, die dem Wiederaufbau der Potsdamer Garnisonkirche kritisch gegenüber stehen, mit ihrer kritischen Haltung aus der Art ihrer Familie geschlagen? Nicht unbedingt. Findet doch 1782 am Stammsitz der von Wolzogens in Bauerbach sogar ein Deserteur vor den Häschern des Herzogs Unterschlupf. Er nennt sich „Dr. Ritter“, sein wahrer Name: Friedrich Schiller.
- showPaywall:
- false
- isSubscriber:
- false
- isPaid: