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Homepage: Die Sache mit dem guten Leben

IASS-Buch zur Zukunft Lateinamerikas

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Fortschritt werde auf der ganzen Welt noch immer als technologisches Wachstum definiert, stellt der Kulturwissenschaftler Constantin von Barloewen fest. In Lateinamerika allerdings werde gegenwärtig intensiv darüber diskutiert, ob dieser Fortschrittsbegriff noch angemessen ist. Diese Diskussion finde zwar auch anderenorts statt, aber in Lateinamerika sei die Ausgangslage eine ganz besondere. Denn in den Mittel- und Südamerikanischen Staaten gebe es ein sehr vielfältiges Völkergemisch. Im Kanon der Diskussion seien auch die Stimmen der indigenen Völker deutlich zu vernehmen, stellt Soziologe Manuel Rivera fest.

Im Austausch mit zahlreichen Experten aus Lateinamerika haben Barloewen, Rivera und Klaus Töpfer, Direktor des Institut for Advances Sustainability Studies in Potsdam (IASS), sich mit der politischen und wirtschaftlichen Entwicklung in Lateinamerika beschäftigt. Dabei ist ein gewichtiger Sammelband entstanden. Darin finden sich Aufsätze, die das ganze Spektrum der Diskussion über den Fortschrittsbegriff und die Entwicklungsmöglichkeiten in Lateinamerika zeigen. Mit einer Diskussion stellten die Wissenschaftler das Buch vor. Ein Schwerpunktthema ist die Entwicklung Brasiliens, ein weiterer die alternativen Entwicklungsmöglichkeiten unter dem Stichwort des „guten Lebens“.

„Lateinamerika hat in den vergangenen Jahren ein starkes Selbstbewusstsein entwickelt“, bemerkt Manuel Rivera. Der Kontinent sehe sich nicht mehr als problematisches Entwicklungsland, sondern als Teil der Lösung der weltweiten Globalisierungsprobleme. „Auf dem Nachhaltigkeitsgipfel in Rio de Janeiro im Jahre 2012 herrschte eine Atmosphäre, die dramatisch anders war als diejenige im Jahre 1992“, stellt auch Klaus Töpfer fest. Nicht die Entwicklungsprobleme Mittel- und Südamerikas seien 2012 dort diskutiert worden, sondern die Möglichkeiten der Nachhaltigkeit der Entwicklung in Lateinamerika. „Europa war nicht mehr relevant“, konstatiert Töpfer. Die Vielfalt der Kulturen biete Lateinamerika die Möglichkeit, ganz verschiedene Ansätze zu diskutieren. Es stelle sich die Frage, ob Wohlstand immer nur materiell definiert werden müsse.

In genau diese Kerbe schlägt der uruguayische Sozialwissenschaftler Eduardo Gudynas. In seinem Beitrag zu dem Buch betont er, dass zwar die herrschende Politik in Brasilien immer noch auf Rohstoffexporte als Motor von Fortschritt und Entwicklungswachstum setzen würde. Abseits dessen aber würden auch Alternativen formuliert, die sich im Begriff des „Guten Lebens“ wiederfinden würden. Dieser Begriff werde speziell in den Andenländern diskutiert und sei vom Wissen der indigenen Kulturen geprägt. Letztlich gehe es darum, den Dualismus gegenüber der Natur aufzulösen und die Bewahrung des guten Lebens im Einklang mit Gemeinschaft und Umwelt zu suchen. Aber es gebe auch andere Positionen, betont Imme Scholz vom Deutschen Institut für Entwicklungspolitik bei der Präsentation des Buches. Diese sähen in den Indigenen Völkern und den Schutzräumen, die ihnen in Südamerika eingeräumt würden, vorwiegend Entwicklungsverhinderer mit Partikularinteressen.

Imme Scholz verweist darauf, dass die Zuweisung eines Gebietes an die indigene Bevölkerung durchaus mit einer Urbanisierung der Fläche einhergehen könne, eben durch die Ureinwohner. „Die Entwicklung ist in den Reservaten ja nicht eingefroren“, stellt die Soziologin fest. Barloewen betont, dass es eine lebhafte Diskussion und politische Auseinandersetzung darum gebe, ob die Rohstoffe im Boden des Amazonasgebietes verbleiben sollten oder der Export der Rohstoffe weiterhin der Entwicklung und damit letztlich auch dem materiellen Wohlstand breiter Bevölkerungsschichten dienen solle. Entscheidend für die gegenwärtige Entwicklung sei, dass sich trotz aller Völkervielfalt in Mittel- und Südamerika gegenwärtig ein gemeinsames Bewusstsein der beiden Kontinente bilde, bemerkt Manuel Rivera. Auf dieser Grundlage würden lebhafte Gerechtigkeitsdebatten über die materielle Verteilung der Ressourcen geführt. Richard Rabensaat

„Nachhaltige Entwicklung in einer pluralen Moderne: Lateinamerikanische Perspektiven“, Verlag Matthes & Seitz Berlin

Richard Rabensaat

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