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Architektur-Theoretiker Prof. Dr. Claus Baldus von der FH Potsdam über das geplante Niemeyer-Bad, den Umgang mit der Tradition und das städtebauliche Erscheinungsbild der Landeshauptstadt

Stand:

Herr Professor Baldus, wie verfolgen Sie die derzeitige Diskussion um den geplanten Bau des Niemeyer-Bads in Potsdam?

Mit sehr positiven Gefühlen. Ich glaube, dass Oscar Niemeyer für Potsdam genau richtig wäre. Die Stadt hat viel geleistet bei der Pflege seiner historischen Baubestände, aber sie braucht auch eine Aussage zur Gegenwartsarchitektur. Und Oscar Niemeyer ist der Repräsentant der modernen Architektur schlechthin.

Unter Architekten gilt sein Entwurf als umstritten, es sei nicht sein bester, heißt es.

Seit 1980 arbeite ich mit Architekten zusammen und hatte so die Möglichkeit, ihre Mentalität ein wenig kennen zu lernen. Der Konkurrenzkampf in der Branche ist riesig. Wenn man einen Architekten zur Arbeit eines Kollegen befragt, wird die Antwort fast immer negativ sein. Das darf man nicht zu ernst nehmen.

Der Auftrag ging direkt an Herrn Niemeyer. Können Sie die Kritik um die fehlende Ausschreibung für das Bad verstehen?

Nein. Oscar Niemeyer ist eine lebende Legende. Ich glaube, es war eine gute und richtige Entscheidung, ihn direkt für dieses Vorhaben zu gewinnen.

Mit knapp 30 Millionen Euro ist der Bau nicht ganz billig. In Zeiten knapper Kassen dürfte es den Bürgern vielleicht etwas schwer zu vermitteln sein, warum man ausgerechnet einen Stararchitekten für ein Prestigeprojekt gewinnen muss.

Ich glaube nicht, dass es ein Prestigeprojekt ist. Es geht um ein Schwimmbad, und das ist für alle Bürger gedacht. In Europa gibt es etliche mittelgroße Städte wie Potsdam, die versuchen, sich durch ein wirklich gutes Bauprojekt mit einem wirklich guten Architekten ins Gespräch zu bringen, sich attraktiv zu machen. Dem kann man natürlich entgegenhalten, dass es in Potsdam bereits große historische Bauten wie Sanssouci gibt. Wir brauchen aber auch etwas, das eine Botschaft in unserer modernen Zeit ist.

In Potsdam sind sowohl friderizianische Bauten vertreten als auch der romantische Klassizismus und die realsozialistische Moderne. Wie bewerten Sie dieses Spannungsverhältnis zwischen diesen unterschiedlichen Baustilen?

Das finde ich sehr aufregend. Es gibt ja einige Kollegen, die den Abriss aller Plattenbauten fordern. Ich halte das für Unsinn. Sie sind nämlich auch ein Resultat der Geschichte, und wenn wir uns zur Geschichte bekennen, dann müssen wir uns eben auch zu den Potsdamer Plattenbauten bekennen. Man darf das nicht einfach verdrängen. Das ist ein ganz schwerer Fehler, der von manchen Architekten und Städtebauern gemacht wird. Ich glaube, dass wir mit der Geschichte insgesamt richtig umgehen müssen und uns auf sie einlassen sollten.

Wie würde sich Ihrer Meinung nach der Bau des Niemeyer-Bads auf das Stadtbild auswirken?

Ich glaube, sehr gut. Ich halte ein solches Projekt für sehr wichtig. Es hätte auch einen positiven Einfluss auf das Lebensgefühl in der Stadt. Ein Schwimmbad dient ja nicht nur dem Sport sondern auch dem gesellschaftlichen Leben. Zudem müssen wir etwas für die architektonische Bandbreite der Stadt tun. Wir dürfen nicht nur auf die Bauten der ehemaligen Feudal-Tradition sehen – so wichtig sie auch sind. Niemeyer ist ein Vertreter des so genannten organischen Bauens, das sich stets um natürliche Raumanordnungen bemüht hat – keine abstrakten, kantigen Kästen, sondern fließende Formen. Gerade deshalb glaube ich, dass diese Arbeit eine hohe Akzeptanz finden würde. Sie würde sich auch gut an Gottfried Böhms Theaterneubau anschließen – für mich übrigens der schönste Theaterbau in einer Stadt mittlerer Größe in ganz Deutschland. Das ihm zu Grunde liegende Konzept ist ebenfalls ein organisches. Die Dachformation beugt sich fast wie eine sich öffnende Blume über das Wasser. Das Bad von Oscar Niemeyer wäre eine zweite Arbeit dieser Qualität.

Niemeyer war in den 50er und 60er Jahren maßgeblich an der baulichen Umgestaltung der brasilianischen Hauptstadt Brasilia beteiligt. Als Chef des staatlichen Bauamtes entwarf er alle öffentlichen Gebäude. Wäre ein solches Vorgehen heute noch denkbar?

Brasilia war die Realisierung einer großen Utopie der Moderne. Nur: So würden wir heute keine Stadt mehr bauen. Ich finde, dass eine Stadt Kontraste braucht. Das Historische einerseits, verschiedenartige moderne Interventionen andererseits. Ich sperre mich gegen jede Form von Monotonie. Heterogenität, das Arbeiten mit Widersprüchen – das ist etwas, das wir heute in den Städten brauchen. Potsdam hat ja eine heterogene Baukultur mit französischen, italienischen, holländischen und russischen Einflüssen. Ich glaube, dass der Theaterneubau und das Schwimmbad diese Heterogenität weiterführen würden.

Wie beurteilen Sie Potsdams städtebauliches Erscheinungsbild im gesamtdeutschen Vergleich?

Diesbezüglich liegt Potsdam sehr weit vorn. Reine Museumsstädte wie etwa Görlitz sind eine schlechte Lösung. Interessant sind vor allem Städte, in denen es eine gewisse Spannung gibt zwischen der Pflege einer Tradition und einer modernen Entwicklung. Das Leben ist kein Museum, Deutschland hat sich selbst vielleicht schon viel zu sehr musealisiert in den letzten 20 Jahren. Die Welt befindet sich in einer dynamischen Entwicklung, das muss sich auch in der Architektur widerspiegeln. Potsdam ist diesbezüglich fast ein Idealfall, denn es hat Quartiere von ganz starker Konsistenz. Zum Beispiel das Holländische Viertel. Wenn wir jetzt mit moderner Architektur hineingehen, dann müssen es schon Architekten der ersten Garnitur sein. Wie etwa Gottfried Böhm oder Oscar Niemeyer. Das steht der Stadt sehr gut zu Gesicht.

Das Gespräch führte Nana Heymann

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