Landeshauptstadt: Die Seele spüren
Tanzpädagoge Royston Maldoom besuchte gestern die Rosa-Luxemburg-Schüler
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Plötzlich sind sie still, konzentriert heben sie ihre Beine und drehen sich um die eigene Achse. Eben haben die 35 Schüler im Tanzraum der Rosa-Luxemburg-Schule noch rumgealbert mit Choreographin Lenah Strohmaier, die ihnen die richtigen Schritte für das „Tanztheater-Projekt „Krieg“ zeigte. Doch nun sitzt Royston Maldoom auf dem Bühnenrand und beobachtet sie – der Mann, der ihnen das Tanzen beibrachte. Der englische Choreograph und Pädagoge, der gerade in Berlin mit 200 Jugendlichen und Senioren für das Projekt „Carmina Burana“ mit den Berliner Philharmonikern probt, schaute gestern kurz bei seinen ehemaligen Schülern vorbei.
Für die hat sich viel verändert, seit er mit ihnen im vergangenen Jahr innerhalb von drei Wochen das Projekt „Tryst“ auf die Beine stellte. Für den 17-jährigen Thomas Matys war die Arbeit mit Maldoom ein „einmaliges Erlebnis“ und Schulleiterin Vera Paul erinnert sich, dass viele der Jugendlichen nach der Premiere im ausverkauften Hans-Otto-Theater Tränen in den Augen hatten. Sie spricht von einer Sternstunde, nicht nur für die Schüler, auch für sie. Sie habe gesehen, dass die Teenager, die von vielen als schwierig abgestempelt würden, in der Lage seien, etwas zu Ende zu bringen, dass sie bereit seien, etwas zu leisten.
Zehntklässlerin Christin Reh, die vor dem Maldoom-Projekt nach eigener Ansicht eine der Schlimmsten an der Schule war, hat danach beschlossen: „So kann“s nicht weiter gehen.“ Und hat das beim Tanzen Gelernte „einfach mal im Unterricht angewandt“ und festgestellt: „Es klappt.“ Sie sei jetzt viel ruhiger und habe schon bessere Noten. In Englisch etwa steigerte sie sich von einer Vier auf eine Zwei. Und Thomas tanzt jetzt ganz viel, sagt er, sogar noch zu Hause. Er habe den Tanz als Sport für sich entdeckt.
Zehntklässlerin Christin Reh will auch „unbedingt weiter machen“. Klar, dass die beiden Schüler sich im Februar sofort für das neue Stück von Lenah Strohmaier anmeldeten, die damals bereits bei Maldoom assistierte. Organisiert hat das Projekt Christiane Fetscher von der Flickstiftung Potsdam, die es auch finanziert. Im Juni soll „Krieg“ im Hans-Otto-Theater Premiere haben. Bis dahin heißt es für die Jugendlichen wieder trainieren, trainieren, trainieren. Zwei mal in der Woche wird nach dem Unterricht geprobt und oft auch noch am Wochenende.
Zwar sei jetzt nicht alles völlig anders, meint Direktorin Paul. Aber es gebe Momente im Unterricht, in denen sie merke, dass sich die Jugendlichen „bewusster verhalten“. Maldoom weiß, dass seine Projekte das Leben der Jugendlichen ändern können. Schließlich sei dies das Ziel seiner Arbeit. Beim Tanzen spürten sie nicht nur ihre Körper, sondern auch die Seelen. Gleichzeitig würden sie lernen, sich sozial zu verhalten, denn sie müssten auf der Bühne zusammen funktionieren. Maldoom spricht aus eigener Erfahrung. Er sei ein „extrem schwieriger Schüler“ gewesen: „Ich habe nie gelernt, war immer gelangweilt, hatte aber eine Menge Energie“, erzählt er. „Erst mit 22 Jahren habe ich mein Leben geändert.“ Nachdem er einen Tanzfilm gesehen hatte, beschloss er, in London Tanz zu studieren.
Als Christin und Thomas kurz vom Training verschnaufen dürfen, begrüßen sie ihren ehemaligen Lehrer. Christin, die sich „tierisch“ über seinen Besuch freut, drückt Maldoom an sich und schenkt ihm einen Schokoriegel – „denn Schokolade isst er am liebsten“. Die Proben mit ihm hätten großen Spaß gemacht, obwohl er sehr streng gewesen sei, findet sie. „Hart war er, aber gut, er hat uns gut erzogen.“ Nun sitzt der 63-Jährige mit kahl rasiertem Schädel und Goldring im linken Ohr in seiner speckigen Bomberjacke im Schultanzraum und plaudert mit den Rosa-Luxemburg-Schülern. Ein bisschen sieht er immer noch aus wie ein „schwieriger Schüler“. Juliane Wedemeyer
Juliane Wedemeyer
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