
© Grit Weirauch
Landeshauptstadt: Die Spur des Malers
Therapie von der Kunsterziehung: Nach dem Vorbild des in Paris wirkenden Pädagogen Arno Stern sollen auch in Potsdam Kinder und Erwachsene die Lust am Spiel mit Farbe und Pinsel wiederentdecken
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Johannes taucht den Pinsel in den blauen Farbtopf. „Nur einmal kurz, das reicht“, sagt Henriette Stärk. Der fünfjährige Junge eilt mit seinem Pinsel an die Wand. Er hat dort mit Frau Stärk ein weißes Din A2 Papier mit Reißzwecken befestigt. Ein Strich Blau von oben nach unten, – „hui“, ruft er –, einen zweiten quer, „hui“.
Johannes ist zum ersten Mal im Malort in der Babelsberger Otto-Erich-Straße. Hier klebt Packpapier von oben bis unten an den Wänden, in einem Regal liegen weiße Blätter, in einem anderen Reißzwecken. In der Mitte des Raumes steht ein schmales Holzboard mit jeweils zwei Töpfen – den gesamten Farbkreis entlang: einer für das Wasser, einer für die Farbe. Neben jeder Farbe zwei Pinsel, dick und dünn. Mehr brauche es nicht zum Malen. Davon ist Henriette Stärk überzeugt. Deswegen sagt sie auch nicht viel in den 90 Minuten am Dienstagnachmittag: keine Aufgaben, keine Anleitungen, keine Anregungen. Nicht einmal Lob.
Seit August führt die aus Konstanz Stammende den Malort. Der Künstler und Pädagoge Arno Stern, inzwischen fast 90-jährig, betreibt ihn seit den 1950er-Jahren in Paris. Im Sommer hat Stärk bei ihm gelernt, mit dem Malort beschäftigt sie sich allerdings schon seit mehr als 15 Jahren. Sie hat damals, als ihr Kind klein war, einen Kindergarten in Konstanz gegründet, später auch eine Schule. In Potsdam hat sie nun einen eigenen Ort gefunden. Sie glaubt an das Prinzip des Malspiels, das Stern im Laufe der Jahre entdeckt hat: Jedes Kind liebt es zu malen. Wenn man es nur lässt, findet es zurück zu seinen ursprünglichen Fähigkeiten und einer Art Ursprache, die beglückt und befreit. Der Film „Alphabet“, der derzeit in den Kinos läuft, handelt auch von Sterns Malspiel. „Alphabet“ führt viele Eltern zu Henriette Stärks Malort. „Es kommen seit dem Film schon sehr viel mehr Anrufe“, sagt sie.
Peggy Vetter etwa ist über den Film auf den Malort von Henriette Stärk gestoßen. In der Schule ihres zehnjährigen Sohnes Leon, der Internationalen Schule im Ravensbergweg, ist „Alphabet“ seit Wochen Diskussionsthema. Nun kommt die 34-jährige mit ihrem Sohn jeden Dienstag in den Malort. Eigentlich hat sie als Mutter dreier Kinder nur etwas gesucht, was sie an einem Tag in der Woche alleine mit Leon machen kann. Bislang waren sie oft zusammen shoppen. Jetzt malen sie immer am Dienstag. Sie selbst auch: „Immer wieder das Gleiche“, sagt sie und lacht. „Ich male immer wieder Blumen, die gleichen Formen wie als Kind in den Sommerferien bei meiner Oma.“
Für Leon sollte es vor allem ein Kontrast zum Schulalltag sein, erzählt Peggy Vetter. Beim ersten Mal im Malort habe er gewartet, dass Henriette Stärk ihm sagt, was er malen solle und mit welchen Farben. Das hat sie aber nicht. Am Ende des Malspiels hat sie ihm auch nicht gesagt, er solle sich am Waschbecken die Hände waschen. Sie hat einen Lappen genommen und damit seine Finger wieder sauber gemacht. „Die Art, wie Henriette mit den Kindern umgeht, hat mich berührt“, sagt Peggy Vetter. Inzwischen malt auch Leon einfach los, ein, zwei Bilder, dann will er allerdings lieber mit seiner Mama auf den Weihnachtsmarkt. Aber das Malen findet er trotzdem gut, weil „meine Bilder hier nicht bewertet werden und mit anderen verglichen“, sagt er. Und: „Das Schreiben in der Schule ist nicht mehr so anstrengend.“
Henriette Stärk ist nicht die Erste, die in Potsdam einen Malort betreibt. Im Künstler-und Gründerzentrum Puschkinallee hatte die Kunsttherapeutin Cornelia Arnodt bereits vor zwei Jahren einen Malort geschaffen. Sie kennt Stern seit 20 Jahren, hat bei ihm studiert und regelmäßig sogenannte Maltermine angeboten. Das Wort Kurse findet sie nicht passend, „das klingt so nach Anfang und Ende“, sagt sie. Es brauche Zeit, mindestens ein halbes Jahr, bis die Kinder und erst recht die Erwachsenen sich abgeschirmt von äußeren Einflüssen von Leistungs-und Erwartungsdruck befreien und ihre „natürliche Spur“ wiederfinden. Ihren Malort musste sie allerdings aufgeben. Aus dem Kreativzentrum im Potsdamer Norden wurden Wohnungen. Nun ist sie auf der Suche nach einem neuen bezahlbaren Raum. Nicht einmal ein Fenster müsse er haben, auch bei Stern in Paris soll schließlich nichts von außen eindringen. Jetzt sieht auch sie die Zeit gekommen, um mehr Menschen beim Malen zu begleiten: „Die Leute verstehen immer mehr, worum es geht, und sehen die Notwendigkeit, dass es solche Inseln geben muss“, versichert Cornelia Arnodt. Inseln, an denen „die Mallust nicht zu Werken führt“, zitiert sie Stern.
Auch Henriette Stärk betont, dass es im Malort nicht auf das Produkt ankomme. Die Bilder wandern alle in eine Mappe, die aufbewahrt wird. Mit nach Hause genommen werden dürfen sie nicht. Nicht alle Kinder kämen damit anfangs gut zurecht, sagen beide. Der fünfjährige Johannes nimmt es fraglos hin. Nach anderthalb Stunden im Malort hängen sechs Bilder zum Trocknen an den Wänden. Auf allen hat er seine Spur hinterlassen.
nbsp;Grit Weirauch
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