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Landeshauptstadt: Die Stadt der (Luft)Schlösser

In Potsdam wurde schon immer viel gebaut, doch noch mehr wurde verworfen. Und das war gut so. Gründe für das Scheitern waren oft, gestern wie heute: Geldmangel, Streit und Gigantismus.

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Das Potsdamer Jahr der Architektur nähert sich dem Ende – bezeichnenderweise themenbezogen in tiefem Unfrieden: Um Ort und Gestaltung des neuen Landtags auf dem Alten Markt oder anderswo in der Stadt wird erbittert gestritten. Das von dem brasilianischen Stararchitekten Oscar Niemeyer entworfene Freizeitbad unterhalb des Brauhausberges erhitzt ebenfalls weiter die Gemüter. Die Anlage mit Kuppelbauten ist fachlich umstritten, die Bewilligung der Fördermittel steht noch immer aus.

Dennoch gibt es gute Hoffung, dass der Landtag und das Freizeitbad gebaut werden – und nicht zu Luftschlössern werden. Diesen nicht realisierten Projekten widmete sich die PNN in einer großen Jahres-Serie. Gemeinsam mit den Lesern begaben wir uns auf die Suche nach Schlössern, Häusern, Parks, Sport- und Freizeitanlagen – die es gar nicht gibt. 48 Luftschlösser wurden vorgestellt, es hätten noch mehr sein können. Die Vielzahl der entdeckten Luftschlösser war zunächst überraschend, die verworfenen Projekte im Einzelnen oft eine kleine Sensation.

Zu allen Zeiten, so ein erstes Fazit, war Potsdam Schauplatz unermüdlichen Ehrgeizes von Architekten, Planern und Bauherren. Kein Wunder: Die Menschen, die sich einst auf dieser Insel ansiedelten, hatten eine selten gute Wahl getroffen: Die einmalige Landschaft weckte schon den Ehrgeiz von Johann Moritz von Nassau- Siegen, der 1664 schrieb: Das „gantze Eylandt mus ein paradis werden“. Eine Aufforderung, der die nachfolgenden Preußenherrscher nachkamen. Ergebnis des schöpferischen Prozesses von Stadt- und Landschaftsgestaltung: Heute gehören weite Teile der Stadt zum Weltkulturerbe. Doch trotz jahrhundertelanger reger Bautätigkeit, der Erschaffung einer der berühmtesten Schlösserlandschaften der Welt, architektonischen Highlights in der Innenstadt wirkt Potsdam immer noch so, als könne immerfort noch weiter und weiter gebaut werden. Kriege und Kulturbarbarei haben der Stadt mehr zugesetzt als anderswo – eben weil sich in einer solchen Stadtlandschaft jeder Makel einbrennt und weil die Ansprüche so immens hoch sind.

Dieses Anspruchsdenken ist wohl, so ein zweites Fazit, eine Hauptursachen dafür, dass so viel gebaut – und auch verworfen wurde. Vieles, was da geplant und geträumt wurde, genügte qualitativ überhaupt nicht. Hinzu kommt: Wenn etwas Schönes immer noch schöner werden soll, kann es sich ins Gegenteil verkehren. So scheiterte eine ganze Reihe von Projekten einfach daran, dass sie zu groß, zu gewaltig geplant wurden und niemand in der Lage war, diesen Gigantismus zu bezahlen. Und selbst, wenn Geld da war, gab es in der Zeit der Preußenherrscher dennoch oft genug Gründe, warum ein Projekt scheiterte: Streit zwischen Auftraggeber und Architekten, immer wieder neue Entwürfe und Änderungen am Projekt, bis nichts mehr ging, aber auch Tod und politische Querelen bereiteten gar manchem Vorhaben ein schnelles Ende.

So hatte König Friedrich Wilhelm IV. große Pläne mit dem geplanten Schloss Lindstedt. Unter anderem wollte er einen Rundturm und ein doppeltes Belvedere errichten lassen. Der berühmte Baumeister Ludwig Persius konnte es dem Romantiker auf dem Thron nicht recht machen. Immer wieder neue Wünsche machten jede vernünftige Planung unmöglich. Erst nach Tod von Persius im Jahr 1845 wurde das Schloss erbaut – das in seiner schlichten Eleganz allerdings nicht an die hochtrabenden Pläne des Königs heranreichte. Dieser ließ den Architekten Ludwig Ferdinand Hesse gewähren – Friedrich Wilhelm IV. war schwer erkrankt.

Auch ein Schneckenturm für den Alten Fritz, eine Antike Villa gegenüber Schloss Charlottenhof, der Umbau der Heliggeistkirche zu einem Kirchenbau mit gleich sieben Türmen, eine neue, gigantische Garnisonkirche oder die geplante Vergrößerung von Schloss Babelsberg auf das doppelte Maß – aus all dem wurde nichts. Schade, könnte man meinen. Möglicherweise hätte die Verwirklichung des einen oder anderen Projekts Potsdam noch mehr Glanz gebracht.

Froh müssen wir aber sein, dass ein vom Gartendirektor Georg Potente geplantes Volksparkprojekt für Charlottenhof mit Ballspielplätzen, Kinderspielplatz sowie Bade- und Gondelteich aus den 30-er Jahren des vergangenen Jahrhunderts nicht verwirklicht wurde – es scheiterte am Widerstand des Direktors der preußischen Schlösserverwaltung, Ernst Gall.

Da waren die Preußenkönige längst über alle Berge – beim Umgang mit ihrem städtebaulichen wie auch landschaftsgestalterischen Erbes aber sollten die nachfolgenden Generationen Schwierigkeiten haben. Die schlimmsten städtischen Bausünden wurden nach dem Zweiten Weltkrieg begangen, die tragischsten Fehlentscheidungen ebenfalls nach und auch wegen des Krieges getroffen. Während der Preußenadel ungefragt, aber gut beraten, Entscheidungen traf und Potsdams Stadtlandschaft weiterentwickelte, waren es nach 1918 die Stadtväter und das Stadtparlament, die die Verantwortung für die Stadtentwicklung übernahmen.

Interessanterweise jedoch sind die Gründe für das Scheitern von Bauprojekten in Potsdam nach der Zeit der Preußenherrscher eigentlich dieselben. Zu wenig Geld, ständige Umplanungen, Querelen – und auch der Tod. So plante der Potsdamer Stadtbaurat Arno Neumann kurz nach dem Zweiten Weltkrieg ein neues, an moderner Architektur ausgerichtetes Stadtzentrum für Potsdam. Doch mitten in der Arbeit setzte ein sowjetischer Wachposten auf der Langen Brücke Neumanns Leben eine Ende – er erschoss ihn in seinem Dienstwagen, die Hintergründe sind bis heute ungeklärt. Neumanns Pläne konnten nicht verwirklicht werden, weil bestimmte Unterlagern fehlten – ein wenngleich tragischer Glücksumstand für Potsdams bedrohte historische Mitte

Mehr aber noch schlugen politische Entscheidungen tiefe Narben ins Antlitz der Stadt. Die Sprengung der Garnisonkirche und der Ruine des Stadtschlosses waren ein Akt der Kulturbarbarei. Mauerwerk wurde zum Opfer, weil der SED- Staat Preußen vergessen machen wollte – wo dies machbar war.

Gigantismus gab es auch zu DDR-Zeiten, aber zum Glück wurde aus den verschiedenen Gestaltungsvarianten für den Alten Markt nichts, wie auch der von Walter Juncker geplante Kulturpark Babelsberg nur Vision blieb. Wären die Projekte umgesetzt worden, wäre der Alte Markt heute zugeschüttet und unterhalb des Flatowturms stünde ein Schwimmstadion. Dass in der DDR das Geld knapp war, hatte auch sein Gutes. In der Vorstellung, aus Potsdam eine Stadt mit sozialistischem Antlitz zu machen, wurde nach dem Krieg viele sanierungsbedürftige Gebäude einfach weggerissen und durch schmucklose Zweckbauten des Sozialismus ersetzt. Die barocke Innenstadt entging diesem Schicksal zum Glück weitgehend. Die Abrissbagger wurden durch die Wende endgültig gestoppt. Zwar waren Innenstadt und Holländisches Viertel 1989 weitgehend verfallen – doch mit der D-Mark und investitionswilligen Bauherren gelang ein kleines Wunder. Heute ziehen Touristen staunend durch die Brandenburger Straße und die Mittelstraße.

Die Wende sorgte auch dafür, dass eine neuerliche Sünde an der Stadt nur ein Luftschloss blieb. Laut einer Studie aus dem Jahr 1972 sollte das Holländische Viertel zu einem Großteil abgerissen und durch Neubauten ersetzt werden. Noch kurz vor der Wende planten die DDR-Oberen gar, ein feudales Schloss-Hotel ins das historische Viertel zu platzieren. Auch diese Pläne platzten mit dem Mauerfall.

Nach der Wende wurden in Potsdam mehr Luftschlösser produziert, als in den Jahrhunderten davor zusammen. Kein Wunder: Potsdam präsentierte sich außerhalb der Schlösser und Gärten als vernachlässigte, geschundene Stadt ohne wirkliches Gesicht. Der politisch gewonnene Freiraum rief viele, viele Planer, Architekten und Bauherren auf den Plan. Dutzendweise jedoch platzten die Investorenpläne, wurden zu Luftschlössern. Vorgestellt waren unter anderem Pläne für ein italienisches Palazzo auf dem Alten Markt, eine Bibliothek an der Stelle der Garnisonkirche, einen 120 Meter hohen Glasturm in der Großbeerenstraße., für ein Kauf- und Kaffeehaus am Platz der Einheit, ein Hotelprojekt an der Nuthestraße, für das gleich dreimal geplante Drewitz-Center mit Spaßbad, Hotel und Multiplexkino oder die „Lange Galerie“, eine gigantische Gebäudeschlange im Bereich Alter Markt und Lustgarten.

Das neue Stadtparlament machte endlich die Kehrtwendung in Sachen Stadtentwicklung. Eine der ersten Entscheidungen betraf die Wiederherstellung der historischen Mitte der Stadt – bis heute nicht geglückt, aber auch nicht verloren. Doch ohne Bausünden ging es wieder nicht: das Glienicker Horn und die Villen in der Katharinenholzstraße wollen nicht ins Stadtbild passen. Auch der neue Bahnhof mit seinen Nebengebäuden gilt als Bausünde. Dabei war es der Widerstand der Potsdamer, der dazu führte, dass das Potsdam-Center am Ende doch ein Luftschloss wurde – denn ursprünglich sollte die dreifache Menge an Bruttogeschossfläche entstehen. Erst die Drohung, Potsdam von der Liste des Weltkulturerbes zu streichen, brach dem Projekt das Genick.

So steht Potsdam am Ende des Architektur-Jahres noch immer vor wichtigen Weichenstellungen in der Stadtentwicklung. Im kommenden Jahr wird sich zumindest das Schicksal des Alten Marktes entscheiden. Doch an vielen weiteren Plätzen dieser Stadt heißt es weiter planen und bauen – wenn das Geld da sein sollte und auch politisch so entschieden wird. Neue Luftschlösser sind dabei vorprogrammiert.

Drittes Fazit: Potsdam lebt mit seinen Luftschlössern, ja hat sich durch die Auseinandersetzung mit den Projekten entwickelt. Vollendung braucht gerade auch das Unvollendete. Bei den Ansprüchen

Michael Erbach

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