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Landeshauptstadt: Die Stadtbauern

Acht Potsdamer Familien bewirtschaften einen kleinen Gemeinschaftsgarten. Bald wollen sie ihr erstes Erntedankfest feiern

Von Matthias Matern

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Auf Habibs bunter Entwurfszeichnung möchte man am liebsten schon zugreifen, sich einen der leckeren Äpfel aus dem Spalier pflücken. Noch allerdings ist die „Naschhecke“, wie der 39-jährige Potsdamer, der seinen Nachnamen nicht nennen möchte, seine grüne Revolution nennt, eher Zukunftsmusik. Wenn auch schon ordentlich Blattwerk zu sehen ist, so dürften reife Früchte in ausreichender Menge wohl erst im kommenden Jahr zu erwarten sein. Insgesamt fünf in den Erdboden gerammte Eisenstangen markieren den Verlauf der sich selbst düngenden Obstwand, die dort entstehen soll. „Permakultur“ heißt das Stichwort. „Wie können wir nachhaltig leben, ohne so viel Energie wie bisher zu verbrauchen?“, stellt der junge Familienvater die Kernfrage, die hinter der Philosphie steckt. „Bei den Obstpflanzen sollen noch Grünpflanzen wachsen. Deren abgefallene Blätter düngen später die Äpfel, Johhannisbeeren und Birnen.“

Habib, seine Frau Aischa und ihre beiden Kinder bewirtschaften seit Anfang des Jahres zusammen mit sieben weiteren Potsdamer Familien einen rund 40 Quadratmeter großen Gemeinschaftsgarten auf dem Gelände des Treffpunkts Freizeit an der Straße Am Neuen Garten. An diesem Tag, ein Donnerstag, ist außer Habib und seiner Familie noch Holger Schwerin da, der mit seiner Lebensgefährtin ebenfalls eine der fünf Quadratmeter großen Parzellen bepflanzt hat. Es ist warm, die Sonne brennt vom Himmel, entsprechend großen Durst haben Kartoffeln, Salate und Zwiebeln.

„Wir benutzen ausschließlich Regenwasser, das in Zisternen gesammelt wird und das wir dort hinten in dem 1000-Liter-Tank da speichern“, sagt Susanne Hackel und zeigt auf den großen weißen Plastiktank, den das Gartenteam zwischen einem Busch und der Hecke, die das Grundstück begrenzt, versteckt hat. Hackel gehört wie Habib zum Gründungsteam. Wie die anderen Gärtner wohnt auch sie mit ihren zwei Kindern in einer Mietwohnung in der Stadt. Aufgewachsen ist Hackel allerdings eher im Ländlichen, in der Nähe von Havelberg in Sachsen-Anhalt. „Potsdam ist ja eigentlich schon recht grün, trotzdem fehlte mir bisher irgendwie so ein Stück Natur“, beschreibt die 34-jährige Heilpraktikerin den Grund für ihren Wunsch nach einem Beet. „Das hat ja auch etwas mit Erholung zu tun. Außerdem finde ich es total spannend, Kindern zu vermitteln, wie Pflanzen wachsen.“

Der Gemeinschaftsgarten im Treffpunkt Freizeit ist Teil eines sozialen Projekts. Gleich neben den Parzellen des Gärtner-Kollektivs ranken sich aus 40 Bäckerkisten Tomatenpflanzen, Kohlrabis und Salate. Jeweils in den Ferien pflanzen, gießen und harken Susanne Hackel und ihre Partnerin Karen Münzner als die „Gartenpiraten“ mit Kindergruppen. „Bei manchen Kindern war ich total überrascht, wie viel die schon wissen. Mit Eifer sind aber alle dabei“, berichtet Münzner, die eigentlich Floristin ist und Landschaftsarchitektur studiert hat.

Sowohl der Gemeinschaftsgarten als auch das „Gartenpiraten“-Projekt wird vom Treffpunkt Freizeit gefördert. Anfang Juni hatte es wie berichtet den Potsdamer Klimapreis bekommen. Ähnliche sogenannte Stadtgarten-Projekte gibt es unter anderem im Projekthaus Potsdam in Babelsberg und im Kulturzentrum Freiland an der Friedrich-Engels-Straße. Die Frage, woher der neue Trend zum Gärtnern kommt, habe sie sich auch schon öfter gestellt, sagt Hackel. „Vielleicht eine Sehnsucht nach Ursprünglichkeit? Wenn man heutzutage in den Supermarkt geht, weiß man ja eigentlich oft gar nicht genau, wo die Sachen herkommen“, versucht sie sich an einer Erklärung.

Bei Habib und Aischa hat das auf jeden Fall auch mit Platzmangel zu tun. „Unsere Terrasse ist schon komplett zugestellt“, erklärt Aischa. Die Anstrengung der Gartenarbeit bei der Hitze ist ihr im Gesicht abzulesen. „Im Schnitt sind wir so ein- bis zweimal in der Woche hier“, schätzt Habib. Bei nur etwa fünf Quadratmeter Fläche bleibe der Aufwand überschaubar. „Und das Schöne an einem Gemeinschaftsgarten ist, dass jeder auch mal das Gießen für den anderen übernehmen kann“, glaubt Habib, der beruflich Unternehmen beim Energiesparen berät und sich selbst als Überzeugungstäter bezeichnet.

Für den Wahl-Potsdamer, der in einer Berliner Kleingartenkolonie groß geworden ist, steht das Gemeinschaftliche beim „urban gardening“, wie das Stadtgärtnern auch neudeutsch bezeichnet wird, klar im Vordergrund. „Das ist doch toll, 16 Erwachsene und 17 Kinder, die gemeinsam etwas machen.“

Aischa und Holger Schwerin dagegen wollen einen gewissen Ehrgeiz gar gar nicht erst verbergen. Bald wollen sie ihr erstes gemeinsames Erntedankfest feiern. Dann sind hoffentlich auch die drei Schwestern reif. Bei den Damen handelt es sich – wie könnte es auch auf Habibs und Aischas Beet anders sein – um ein weiteres Beispiel für eine Permakultur. „Das haben schon die Indianer so gemacht“, erläutert Gartenphilosoph Habib: „Der Kürbis beschattet die Pflanzen und schützt den Boden vor dem Austrocknen. Die Bohnen ziehen den Stickstoff aus der Luft, binden ihn im Boden und düngen damit zusätzlich Mais und Kürbis.“

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