Sport: Die Tür steht einen Spalt offen
Schwimmen und Weltklasse passten in Potsdam einmal eng zusammen. Nach langer Durststrecke tut sich was
Stand:
Im Sommer 2009 war Jörg Hoffmann auf der Suche. Auf die Frage, wer denn drei Jahre später zu den Olympischen Spielen nach London fahren solle, zuckte der Potsdamer Schwimmtrainer die Schultern und meinte, dass da wohl eine Gruppe neuer Athleten durch die Tür kommen müsste. „Aber ich weiß nicht, wo die Tür ist“, sagte Hoffmann damals.
Hoffmann arbeitete da das vierte Jahr als Trainer am Bundesstützpunkt in Potsdam und war mitten in der Phase der Ernüchterung. Er hatte 2002 seine eigene sportliche Karriere beendet, die der 1 500-Meter-Freistilspezialist mit zwei Weltmeister- und vier Europameistertiteln veredelt hatte. Wie man Leistungssport buchstabiert, war ihm noch bestens präsent. „Aber als ich hier Trainer wurde, hab ich erst mal einen Ruck gekriegt. Da hatte sich einiges geändert, Leistungssport war nicht mehr das, wie ich es kannte“, sagt Hoffmann.
Was er kannte, war ein System, „in dem Leistungssport gelebt wurde“ wie er sagt. In dem frühzeitig Talente gesichtet und sortiert und wo alles getan wurde, um Spitzensport auch leben zu können. Schule, Training, Ausbildung, Studium – es war ein gut getimter Mechanismus, um Weltklasse zu produzieren – auch made in Potsdam, wofür olympische Medaillen von Uwe Daßler, Patrick Kühl oder auch Hoffmann stehen. Der heute 44-Jährige schaut nicht mit verklärtem Blick zurück, er weiß sehr wohl zu differenzieren, was am DDR-Spitzensportsystem gut und was schlecht war. Heute, so Hoffmann, sei die Förderung für den Nachwuchs zwar schmaler, aber für die geringe Breite noch sehr gut. „Aber beim Übergang und im Spitzenbereich ist es international verglichen nur noch Amateurniveau.“ Ohnehin ist es schwieriger geworden, Talente zu finden. „Zu meiner Zeit kamen 24 Mädchen und 24 Jungen eines Jahrgangs an die Sportschule, heute sind es zwölf“, sagt Hoffmann. Früher wurden Schwimmtalente in der 5. Klasse ins Sportleistungssystem integriert, heute kommen sie in der siebten Klasse. „Das ist zu spät“, meint Hoffmann, „in den zwei Jahren verpassen sie wichtige Grundlagen.“
Als die deutsche Schwimmnation in den vergangenen 15 Jahren bei internationalen Höhepunkten mehr und mehr baden ging, waren auch keine „Rettungsschwimmer“ aus Potsdam in Sicht. Hoffmann war der letzte olympische Medaillengewinner – 1992 in Barcelona. 2001 wurde er im reifen Schwimmalter von 31 Jahren noch einmal Kurzbahn-Europameister. 2003 holte Jana Henke die letzte Weltmeisterschafts-Medaille nach Potsdam. „Wir haben Handstände gemacht, dass es Jaana Ehmcke 2008 zu den Olympischen Spielen schafft“, erinnert sich Hoffmann. Die Freistil-Schwimmerin fuhr nach Peking – und wurde zweimal 25.
Den Mangel, mit dem sich Hoffmann konfrontiert sah, hat er nicht exklusiv. Vor allem in Sportarten, in denen Ausdauer und enormer Trainingsfleiß gefragt sind, fehlt neben der Förderung die Bereitschaft der Athleten, sich zu quälen. „Je größer der Aufwand, desto schneller verlieren sie die Lust“, sagt Hoffmann. Zu Beginn seiner Trainertätigkeit hatte er Schwimmer, die gemeint hätten, für ein Olympia-Ticket reichen zwei Castingshows wie bei „Deutschland sucht den Superstar“. Von Kontinuität keine Spur. Da waren sie genau richtig bei einem, der zu seiner aktiven Zeit morgens um Sechs schon durchs Wasser kraulte, während das Sportinternat am Luftschiffhafen noch im Tiefschlaf lag. „Jaana Ehmcke war die einzige, die für einen kurzen Zeitraum bereit war, die Herausforderung anzunehmen, bis nach Peking die Luft raus war“, erinnert sich Hoffmann.
Doch musste auch er umdenken, das Training anpassen an den Rhythmus, den Studium und Ausbildung der Athleten heute diktieren. Sein altes Trainingstagebuch, in dem steht, was für Zeiten unter 15 Minuten über 1500-Meter zu tun ist, war ihm keine Hilfe mehr. Gemeinsam mit dem Weltklasse-Trainer Norbert Warnatzsch, der seit gut einem Jahr in Potsdam arbeitet, hat er das Training radikal umgestellt: etwas weniger Umfänge, höhere Intensitäten, mehr Qualität. „Es kann zwei, drei Jahre dauern, bis sich das auszahlt“, sagt er. Aber die ersten Erfolge sind da, „doch wir sind noch lange nicht am Ziel“. Hoffmanns und Warnatzschs Athleten schwimmen bei Wettkämpfen aus dem vollen Training Zeiten, die sie sonst erst nach längerer Erholungsphase geschafft haben. Ihrer Trainingsgruppe attestieren Hoffmann und Warnatzsch „mehrheitlich eine praktische Trainingseinstellung“, einige der zwölf Schwimmer haben die Europameisterschaften im August als nächstes Ziel vor Augen. Mit Yannick Lebherz hat Potsdam einen Schwimmer von internationalem Format: Kurzbahn-Europameister 2010, Staffelbronze bei der Kurzbahn-Weltmeisterschaft vor zwei Jahren. Bei den Olympischen Spielen in London wurde er über seine Paradestrecke, die 400 Meter Lagen, Elfter. „Yannick ist vom Talent und der Einstellung her ein Kracher“, sagt Hoffmann. Carl Louis Schwarz, im Vorjahr Vize-Weltmeister über 50 Meter Rücken, steht in der offenen Klasse am Anfang, hat aber Potenzial. Felix Wolff gehört seit Jahren zur deutschen Spitze, seit diesem Jahr auch mit internationaler Ausrichtung. Christian Diener gewann im vergangenen bei der Kurzbahn-EM einmal Gold und dreimal Silber. „Er hat eine hohe Begabung und ist ein absoluter Wettkampftyp“, sagt Hoffmann. „Ich bin glücklich, dass die Gruppe so homogen ist“, sagt er und betont: „Es sind außer Yannick, der 2010 nach Potsdam kam, alles Eigengewächse.“ Im kommenden Jahr könnten vier junge Schwimmerinnen dazukommen – alle aus dem eigenen Nachwuchs. „Für sie sind die Bedingungen in Potsdam sehr gut“, lobt Hoffmann.
Für absoluten Spitzensport fordert er indes den Vergleich mit der Weltklasse – sowohl, was die Bedingungen angeht, als auch das Kräftemessen im sportlichen Ursprung. Seit einigen Jahren schickt er die besten aus seiner Gruppe zu Grand-Prix-Meetings in die USA, „weil sie da die nötige Wettkampfhärte bekommen, eine professionelle Atmosphäre und Standortbestimmung, die sie hier nicht haben“. Die ersten Male habe er sich geärgert, als seine Athleten es als Erfolg sahen, ein gemeinsames Foto mit US-Superstar Ryan Lochte auf Facebook zu posten anstatt ihn zu attackieren. Das habe ihm gezeigt, dass es noch immer ein langer Weg ist. Doch die Tür zu diesem scheint sich gefunden zu haben.
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