
© Manfred Thomas
Von Guido Berg: Die unterschätzte Gedenkstätte
Streit über Lindenstraße 54 / Vorwurf: Kein Personal, kein Etat / Ausstellung über NS-Zeit ab Frühjahr 2012
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Innenstadt - In Potsdam bricht sich offenbar eine Diskussion Bahn über die richtige Gedenkkultur in der Stadt: Zu einer überaus angeregten Debatte kam es gestern vor dem Eingang zur Gedenkstätte Lindenstraße 54. Gegenstand war die Frage einer angemessenen Würdigung der Opfergruppen sowohl der nationalsozialistischen als auch der stalinistischen Verfolgung.
Die Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten (VVN-BdA) hatte zu einem Gedenken an die nationalsozialistischen Opfer geladen und brachte vor dem Eingang der Lindenstraße 54 eine provisorische Gedenkplakette an, die es bis dato dort nicht gibt. Die Historikerin Almuth Püschel erinnerte an das nationalsozialistische Erbgesundheitsgericht, das in der Lindenstraße 54 ab März 1934 über 4000 Menschen, die nicht in das rassistische NS-Schema passten, zur Zwangssterilisation verurteilte – „ein verheerender Eingriff in die Autonomie des menschlichen Wesens“, erklärte die Historikerin.
VVN-BdA-Mitglied Lutz Boede (Die Andere) kritisierte anschließend, in der Gedenkstätte Lindenstraße 54 – ein Ort der Verfolgung in der NS-Zeit wie auch in der DDR als Stasi-Untersuchungsgefängnis – würde der NS–Zeit zwischen 1933 und 1934 zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt. Damit erregte er den Widerspruch von Gabriele Schnell, ehrenamtliche Gedenkstätten-Protagonistin der ersten Stunde. Ihr Vorwurf an Boede: Als Stadtverordneter sei er mitverantwortlich, dass „die Stadt Potsdam für die Lindenstraße 54 kein Geld in die Hand nimmt“. Es sei „bundesweit die einzige Gedenkstätte ohne Personal und ohne Etat“. Alle Forschungsvorhaben seien aus Drittmitteln finanziert worden, „die auf individuelles Engagement beruhen“. Diese Forschungsmittel stammten insbesondere von der Bundesstiftung der Aufarbeitung der SED-Diktatur. Gabriele Schnell erklärte, bereits 2005 habe es einen Stadtverordnetenbeschluss zur Erarbeitung eines Gedenkstätten-Konzepts gegeben. Auch im Kulturpolitischen Konzept der Stadt von 2007 sei schon von Etat und Personal die Rede – „doch nichts ist geschehen“, kritisierte Gabriele Schnell. Boede reagierte mit dem Hinweis, an den Stadtverordneten von Die Andere werde diese Situation nicht liegen. Er bot an: „Wir könnten Partner sein in dieser Frage.“
Hannes Wittenberg vom Potsdam-Museum, zu dem die Gedenkstätte gehört, bestätigte extrem begrenzte Ressourcen in den vergangenen Jahren. Lange habe die Untere Denkmalschutzbehörde in der Lindenstraße 54 residiert; erst ihr Auszug habe neue Perspektiven eröffnet. Dennoch habe es zwischen 1997 und 2007 eine kleine Ausstellung in der Gedenkstätte gegeben, die auch die NS-Zeit nicht aussparte. Danach habe die Sanierung des Hauses begonnen. „Nun sind die Weichen gestellt“, erklärte Wittenberg, „wir sind auf dem richtigen Weg“. Im Frühjahr 2012 werde das noch fehlende Ausstellungsmodul über die Verfolgungsgeschichte des Hauses zwischen 1933 und 1945 eröffnen. Bis dahin stünden sowohl für Bauarbeiten am Haus als auch für Projekt-, Forschungs- und Kuratoriumsarbeit insgesamt 1,2 Millionen Euro zur Verfügung. Das Haus werde Personal bekommen, versprach Wittenberg, allerdings keinen eigenen Etat. „Sanierung bringt noch keine Gedenkstätte“, mahnte Gabriele Schnell.
Zur Debatte um eine einseitige, womöglich die NS-Opfer vernachlässigende Gedenkkultur erklärte Wittenberg, eine Gedenktafel für den 1944 in der Stadt Brandenburg hingerichteten Ringer und Kommunisten Werner Seelenbinder, der in der Lindenstraße 54 in Haft war, gebe es an der Hausfront aus einem einfachen Grund nicht: „Eine solche hat bislang einfach niemand beantragt.“
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