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Landeshauptstadt: „Die Verdrängung hat massive Züge angenommen“

Der österreichische Schauspieler Karl Markovics über seine Rolle im Film „Die Fälscher“, der in Babelsberg gedreht wurde

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Herr Markovics, der Film „Die Fälscher“ erzählt eine scheinbar unglaubliche, aber wahre Geschichte: Im Konzentrationslager Sachsenhausen werden 1942 zwei Baracken zu einer Werkstatt umgebaut, Häftlinge werden dazu gezwungen, für die Nazis britische Pfundnoten zu fälschen. War Ihnen diese größte Geldfälschungsaktion aller Zeiten vor dem Filmdreh bekannt?

Nein. Was ich wusste war, dass die Deutschen Blüten in Umlauf gebracht haben. In welchem Ausmaß und auf welche Art, davon wusste ich überhaupt nichts. Obwohl der Zeitzeuge Adolf Burger auch Jahrzehnte nach dem Krieg im heutigen Tschechien immer wieder Vorträge darüber gehalten und einen Tatsachenbericht geschrieben hat. Doch auch sein Buch hat keine wahnsinnig großen Wellen geschlagen hat. Wir im Filmteam haben uns im Nachhinein alle gefragt, warum dieses Thema nicht schon längst verfilmt worden ist. Aber vielleicht ist man davor zurückgeschreckt, weil die wahre Geschichte an sich schon ein so hollywoodesker Filmstoff ist, dass einem jeder unterstellen wird, man hätte sie effekthascherisch aufgemotzt. Und man sich dann möglicherweise der Kritik aussetzen müsste, auf diese Weise Geschichtsverharmlosung zu betreiben.

Das wird dem nun entstandenen Film nicht vorgeworfen – was auch an der Hauptfigur des Fälschers Salomon Sorowitsch liegen mag, den Sie spielen. Wie haben Sie sich dieser Figur des pragmatischen, auch opportunistischen Betrügers genähert, die durchaus nicht rein positiv zu sehen ist?

Für mich war das nie ein Problem – im Gegenteil, es war der Grund dafür, dass mich die Figur von Anfang an so angesprungen ist. Ich habe immer genau das als das Spannende an einer Rolle empfunden: Wenn eine Figur nicht eindeutig zuzuordnen ist, nicht eine konsequente Linie verfolgt. Und in diesem Film ist sie auch noch ganz exponiert der Mensch, mit dem die Zuschauer die Geschichte mitverfolgen, weil sie aus seinem Blickwinkel gezeigt wird. Genähert habe ich mich der Figur im Prinzip wie jeder Rolle – indem ich versucht habe, für mich aus dem Drehbuch ein möglichst vollständiges Bild eines Menschen zu bekommen. Ich bin kein Schauspieler, der darüber hinaus zwingend noch Recherchen braucht, denn ich sehe es als meine Aufgabe, keine möglichst detailgetreue Nachbildung oder Imitation einer gewesenen Wirklichkeit zu zeichnen, sondern etwas im Jetzt neu zu erfinden, was man als glaubhaft und wahrhaftig empfinden kann.

War die Rolle für Sie dennoch besonders schwierig zu spielen, weil es für Ihre Figur ein reales Vorbild gibt und nun Menschen diesen Film sehen, die den Fälscher Sorowitsch kannten und in der Geldfälscherwerkstatt gearbeitet haben?

Für mich war es wahrscheinlich weniger schwierig als für August Diehl, der Adolf Burger spielt, der ja lebt und auf dessen Lebensgeschichte der Film basiert. Der Salomon Smoljanoff dagegen – so hieß er in Wirklichkeit – existiert eigentlich nur noch in der Erinnerung von Adolf Burger aus der Zeit, zu der sie sich kennen gelernt haben. Es war für mich deswegen leichter, diesen Menschen schon fast als eine abstrakte Größe zu nehmen. Tatsächlich schwierig war es an dem Tag, an dem Adolf Burger und ein zweiter Überlebender am Set in Babelsberg waren. Ich fragte mich, was sie jetzt empfinden, wenn sie in dieses nachgebaute Set hineinkommen, das eine einschneidende Epoche ihrer Geschichte betrifft - eine, wo es wirklich ums Überleben ging. Ich habe aber gemerkt, dass ich mich von so etwas rasch und möglichst komplett freimachen muss, weil es ansonsten nicht möglich ist, das zu spielen. Ansonsten wäre das Bewusstsein dieser Anmaßung, die in jeder Rolle besteht und vor allem bei Figuren tatsächlich existierender Menschen, zu groß, zu belastend geworden.

Worüber haben Sie an diesem Tag mit Adolf Burger gesprochen, wie sind sich die Überlebenden und die Schauspieler begegnet?

Ich bin ihnen mit einer großen Scheu begegnet. Ich habe sie wohl begrüßt und wir haben kurz Worte gewechselt, von mir aus aber aus einer großen Angst oder Distanz heraus. Was mich sehr bewegt hat ist, dass Adolf Burger mich seitdem immer als „der beste Fälscher der Welt“ anspricht – auch jetzt nach der Premiere. Er war sehr stolz und ist es immer noch, diesem Menschen Salomon Smoljanoff begegnet zu sein, er sagt, er sei sein bester Freund gewesen – und als sein bester Freund spricht er mich nun auch an, natürlich mit einem Augenzwinkern. Da kommt man plötzlich in eine Vertrautheit hinein, bei der ich den Grad als sehr schmal empfinde: Man kann sich dem natürlich nicht entziehen, man muss es aber dann in der Darstellung sehr wohl. Denn ich möchte in meinem Spiel meiner Figur nicht durch mein Wissen überlegen sein. Ich versuche immer, nicht aus den Szenen, die unmittelbar folgen oder die ich bereits erlebt habe, Rucksäcke um mich zu schnüren. Ich möchte in einer möglichst großen Einfachheit spielen: Ich versuche, von Anfang an viele Schalen zu finden, die diesen Charakter bilden, aber im Spiel wirklich immer nur die eine zu zeigen, die es im Moment bedarf.

Aber Sie müssen sich der Situation ja auch öffnen, sie wirken lassen: War es nicht unendlich beklemmend, in so einer Lagersituation zu spielen? Wie konnten Sie sich morgens darauf vorbereiten und abends wieder herauskommen?

Das ist, auch wenn es nicht schön klingt, ein sehr technischer Vorgang, der sich in meiner Arbeit bereits unbewusst vollzieht. Man bereitet sich sehr technisch vor, um dann emotional und offen spielen zu können. Und genauso technisch beendet man diese Emotion auch wieder und geht dann am Abend weg, um sie nicht in einen neuen Tag und in eine ganz andere und neue Situation herein zu tragen. Wann es über einen hereinbricht – und der Moment kommt – sind die Wochenenden. Selbst wenn ich zuhause in Wien war, ging es mir so: Plötzlich war es nicht mehr notwendig, mich zu konzentrieren, und dann war es wie eine Glocke, unter der es wirklich schwierig war, die Gegenwart als freie Welt nach dem Krieg zu empfinden.

Der Regisseur des Films, Stefan Rutzowitzky, ist Österreicher wie Sie. Er sagte, er empfinde es vor dem Hintergrund rechtsgerichteter Parteien im Land als ein Bedürfnis, einen Film wie „Die Fälscher“ zu machen. Geht es Ihnen auch so?

Ich könnte das nicht speziell so sagen. Ich finde es im Allgemeinen im Hinblick auf eine junge Zusehergeneration wichtig, diesen Teil unserer Geschichte auf eine Art zu beleuchten, bei der man ihnen nicht den Holocaust als ganzes Schrecknis hinknallt und sie womöglich sagen, ja, habe ich schon hundertmal gehört, und gleich zumachen. Sondern ihnen in einer verpackten, scheinbar spannenden und leichtläufigen Spionagegeschichte, in die sie nach und nach hineingezogen werden, das Thema nahe bringt, um das es geht: Dass sich ganz normale Menschen plötzlich Fragen stellen müssen, die ihr unmittelbares Überleben betreffen – einfach aufgrund der Tatsache, dass sie von anderen als anders, als eine nicht lebenswerte Gemeinschaft, Rasse, Lebensart bezeichnet werden.

In „Die Fälscher“ geht es um die zentrale Frage: Soll ich mitmachen, um mich selber zu retten, oder soll ich widerstehen, um vielleicht viele andere zu retten. Haben Sie sich diese Frage auch selbst gestellt und eine Antwort darauf gefunden?

Ja, ich habe sie mir immer wieder gestellt. Und ich glaube jeder, der mitgespielt hat, hat sich wahrscheinlich einmal pro Drehtag in einer Schlüsselszene gefragt: Wie wäre das für mich gewesen? Ich bin zu keiner endgültigen Antwort gekommen. Das hing mit ganz banalen Sachen wie der Tagesverfassung zusammen oder woran man gerade dachte. Wenn man an seine Familie dachte, weil man längere Zeit nicht zuhause war, hat das plötzlich eine ganz andere Farbe bekommen als wenn man es scheinbar nüchtern, als einzelner Mensch betrachtet hat. Da konnte man dann schon leichter heroisch oder draufgängerisch sein. Ich habe gemerkt, dass ich immer vorsichtiger geworden bin mit dem, wo ich meinen Platz gesehen habe. Der ist von sehr weit oben nach und nach immer weiter heruntergerutscht: Bis zur Möglichkeit, alles zu machen dafür, dass ich den nächsten Tag überlebe. Und ich musste zwangsläufig an die Victor Franke-Biographie denken, die seine Erlebnisse im KZ schildert, und er über das Verhalten der Leute im KZ schreibt, dass es mit Sicherheit nicht die besten waren, die überlebt haben. Damit lässt er uns ganz nüchtern stehen, mit dieser Tatsache.

Die Zuschauer setzen sich mit der Frage, was sie getan hätten, auseinander, wenn sie den Film sehen. Sie haben monatelang daran gearbeitet. Hat das tiefere Spuren hinterlassen?

Ich muss sagen, dass ich immer sehr aufmerksam und sehr hellhörig war was diesen Teil unserer Geschichte betrifft. Als Kind habe ich den Krieg nur von meiner Mutter und meiner Großmutter erzählt bekommen, das hat mich immer fasziniert. Aber es war nur der Aspekt der Opfer: Da kamen die Russen, die haben alles Mögliche gestohlen, die Frauen wurden vergewaltigt. In meiner Schulzeit wurde das Thema immer nur am Rande berührt, denn viele Professoren hatten den Krieg wahrscheinlich noch als deutsche Landsknechte miterlebt. Erst viel später, in meinem frühen Erwachsenenleben, bin ich mit der eigentlichen Tatsache, mit dem eigentlichen Wahnsinn konfrontiert worden und von da an hat mich die Frage sehr beschäftigt: Wo stand meine Familie wirklich? Aber auch in der eigenen Familie hat die Verdrängung so massive Züge angenommen, dass man kaum auf einen Kern kommt. Das Schlimme ist, dass es speziell in Österreich eine Kultur der Verdrängung gibt, die auf die neuen Generationen übertragen wird. Auf eine Art, die wieder gefährlich wird, wo die Jungen sich schon wieder ein bisschen trauen, sich damit zu schmücken, und behaupten, dass das ja so alles gar nicht war und alles nicht so schlimm gewesen sein kann – und man ja noch über die guten Seiten reden dürfe. Es habe doch auch die anständigen deutschen Soldaten und die Verbrecher bei den Amerikanern und Russen gegeben ... Aber dass das in keinem Verhältnis zu dem Holocaust steht und niemals stehen kann – dass man das einmal ausspricht und für sich erkennt – ich weiß nicht, ob es das bei uns jemals geben wird. Ich bin da vielleicht zu pessimistisch, aber ob das einmal eine Generalerkenntnis sein wird – ich frage mich das ehrlich.

Das Gespräch führte Sabine Schicketanz

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