Landeshauptstadt: Die Verlorenen des Krieges
In der Pappelallee wurden 60 Skelette von Wehrmachtsangehörigen entdeckt – nach weiteren 440 wird noch gesucht
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Jägervorstadt - Ein schauerlicher Fund? Für Joachim Kozlowski ist es eher „gelebte Geschichte“. Wenn irgendwo in Deutschland, Mittel- oder Südosteuropa Soldatengräber aus dem Ersten oder Zweiten Weltkrieg entdeckt werden, wird Deutschlands einziger hauptamtlicher „Umbetter“ gerufen. Kozlowskis Job ist es, die Knochen zu bergen, zu identifizieren und schließlich dafür zu sorgen, dass sie erneut – diesemal in angemessener Weise – bestattet werden.
Seit einigen Tagen ist der 40-jährige Angestellte des Volksbundes Deutsche Kriegsgräberfürsorge nun in Potsdam aktiv. Auf zwei Grundstücken in der Pappelallee – eines gehört der Groth-Gruppe, das andere der Pro Potsdam – wurden am Dienstag vergangener Woche bei Leitungsarbeiten der Energie und Wasser Potsdam mehr als 60 Skelette entdeckt. Bei den Toten handelt es sich um Wehrmachtssoldaten, die in den letzten Kriegstagen offenbar in aller Eile verscharrt worden waren.
„Früher befand sich hier die Adolf-Hitler-Kaserne“, erzählt Kozlowski. Deren Gelände war riesig – einzelne Gebäude stehen noch heute und werden von der Fachhochschule genutzt. Zu der Kaserne gehörte damals auch ein Lazarett. Jene Soldaten, die ihre Verwundungen nicht überlebten, wurden vor Ort beerdigt. Normalerweise ordentlich in Reih und Glied, doch hier lagen die Toten wild durcheinander. „Hier muss das reine Chaos geherrscht haben“, glaubt Kozlowski. An den Knochen lassen sich die Verletzungen der Soldaten gut nachvollziehen: Bei manchen musste ein Arm oder ein Bein amputiert werden, anderen wiederum wurde der Schädel zertrümmert, von einem Splitter oder einem Geschoss. Der Jüngste, sagt Kozlowski, sei 17 oder 18 Jahre alt gewesen. Bei den Skeletten fanden sich einige persönliche Gegenstände, ein Damenring etwa und ein Medaillon, aber auch viele Uniformteile, darunter ein Wehrmachtskoppel mit Hakenkreuz und eines mit einem Spaten als Symbol. Mit Blick auf die bevorstehende Demo der rechtsextremen NPD am vergangenen Samstag habe man die Öffentlichkeit erst am Montag informieren wollen, sagt Pro-Potsdam-Sprecherin Jessica Beulshausen. Es sollte vermieden werden, dass Neonazis die Grabungsstätte als Wallfahrtsort missbrauchen.
Dass an der Pappelallee Kriegstote im Boden liegen, darauf hatte die Kriegsgräberfürsorge seit Langem Hinweise. Vor zwei Jahren, bei den Bauarbeiten für die Geschäftsstelle der Pro Potsdam auf der anderen Straßenseite, sei er schon einmal hier gewesen, sagt Kozlowski. Damals seien umfangreiche Sondierungen mit dem Bagger durchgeführt worden, allerdings ergebnislos. Als ihn in der vergangenen Woche der Anruf erreichte, hatte Kozlowski eigentlich ein größeres Gräberfeld erwartet: Denn insgesamt werden auf dem Areal die Leichen von rund 500 Wehrmachtsangehörigen vermutet – allesamt Tote aus dem Kasernen-Lazarett. „Die Hauptfundstelle“, sagt der Exhumator, „ist das nicht“.
Bis die gefunden ist, dürfte es allerdings noch eine Weile dauern. Nur wenn planmäßige Bauarbeiten anstehen, werde auf Verdachtsflächen auch nach Grabfeldern gesucht, sagt Kozlowski. Dafür sei das Budget zu schmal. So sei ein Fund oft auch nur Zufall – so wie hier. Zwei Tage, schätzt der Umbetter, wird er hier noch zu tun haben, obwohl auch dann noch Tote in der Erde liegen bleiben. Denn das Gräberfeld erstreckt sich bis unterhalb eines Gehwegs, unter dem aus Kostengründen nicht gegraben wird. Es werde nun alles genau dokumentiert und bei der nächsten Baumaßnahme vor Ort weitergegraben, so Kozlowski.
Ein Großteil der Knochen wurde bereits abtransportiert. Die Gebeine werden nun untersucht, das Alter der Toten und die Art der Verletzungen bestimmt. Kozlowski glaubt, dass die meisten der rund 60 Toten zweifelsfrei identifiziert werden können. Bei 13 Skeletten wurden noch die Erkennungsmarken gefunden, bei zwei Toten waren sie sogar vollständig. Laut Kozlowski ein Hinweis darauf, dass sie von Zivilisten ins Grab geworfen wurden. Soldaten hätten nämlich, wie es üblich ist, die Marke an der Perforierung durchbrochen und die eine Hälfte an die Wehrmachtsauskunftsstelle geschickt. Dieser Behörde, nach dem Krieg in Deutsche Dienststelle umbenannt, obliegt die Identifizierung anhand alter Vermisstenlisten und auch die Suche nach Angehörigen. Wohl im November werden die 60 Toten dann auf der Kriegsgräberstätte des Neuen Friedhofs beerdigt. In der Kapelle der Garnisonkirche soll es einen Gedenkgottesdienst geben.
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