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Landeshauptstadt: Die Welt im Reagenzglas

Kinder entdecken in Experimentierkursen naturwissenschaftliche Zusammenhänge – spielend

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Tobias hält das Reagenzglas ins Licht und prüft unter leichtem Schütteln die Farbe der Flüssigkeit. Nach einem vergleichenden Blick auf den Zettel seines Tischnachbarn Joey, trägt er seine Beobachtungen in eine Tabelle ein. Die jungen Wissenschaftler sind elf Jahre alt, ihr Labor ist auf der Tischtennisplatte im Hof ihrer Grundschule am Griebnitzsee.

Die Mitschüler sind schon auf dem Weg nach Hause, während das Dutzend Fünft- und Sechstklässler seinen Schultag freiwillig um eine Stunde verlängert. Experimentiert wird heute mit Rotkohlsaft. Die dunkelviolette Flüssigkeit dient als Indikator, zur Unterscheidung von Saurem „und Süßem“, fällt Lisa dem Kursleiter ins Wort. „Nicht ganz“, fährt Axel Werner fort. „Der Chemiker unterscheidet Säure und Seife.“ Werner, von Hause aus Physiker und auch Mitinitiator des Exploratoriums, bietet in seiner Freizeit Experimentierkurse für Kinder an. Die entstanden, nachdem die sechswöchige naturwissenschaftliche Mitmach-Welt in den Bahnhofspassagen im vergangenen Herbst ihre Tore wieder geschlossen hatte. „Das Interesse an Physik, Chemie und Biologie war geweckt worden. Jetzt musste es am Leben erhalten werden“, sagt Axel Werner.

Das experimentelle Farbenspiel macht den Kindern riesigen Spaß. In Wasser gelöstes Backpulver färbt sich bei Gabe von Rotkohlsaft rot, Soda wird grün. „Und was passiert, wenn ich die beiden vermische“, fragt Felix, wartet die Antwort aber nicht ab und kippt einfach die bunten Flüssigkeiten zu neuen Farbmixturen zusammen. Während die Mädchen vorsichtig mit der Pipette Saures zu einer Base verwandeln, haben die Jungs ein neues Phänomen entdeckt. Sie ziehen mit Spritzen Wasser auf, stellen sich in eine Reihe und drücken ab. Begeistert über ihre Wasserstrahle trumpfen sie mit coolen Sprüchen auf. Eigenschaften wie eiserne Disziplin und Geduld, die erwachsenen Forschern eigen sind, kennen die jungen Wilden nicht. Diese Weltentdecker erschließen sich ihre Umgebung und die darin vorherrschenden Gesetze durch Versuch und Irrtum. „Das ist das tolle an Kindern“, sagt Werner, dessen Sohn auch zu den forschen Forschern gehört. Mit den Experimentierkursen am Griebnitzsee und auch in der Bürgerschule erreicht der Sprecher des Trägervereins Exploratorium e.V. inzwischen rund hundert Kinder aus den Klassen 1 bis 6, stößt aber auch trotz fleißiger Helfer an seine Kapazitäten. Schließlich bereite man ja gerade die Dauerausstellung in der Wetzlarer Straße vor, die im September eröffnet werden soll. Deshalb werde man aber die Idee des spielerischen Heranführens an naturwissenschaftliche Phänomene nicht aufgeben, verspricht der Physiker. Vielmehr wolle man künftig anerkannter Bildungsträger werden, der dann Honorarkräfte in Grundschulen und auch Kitas entsenden könne.

Inzwischen schwimmt die Oberfläche der Tischtennisplatte. Eingefärbte Zuckerlösung vermischt sich mit verkleckertem Gemüsesaft, verwehte Notizblätter landen in sprudelnden bunten Pfützen. Bei den Versuchen nehme man einfache Stoffe, die in jedem Haushalt zu finden seien. „So können die Kinder auch zu Hause experimentieren“, erklärt Axel Werner, der auch als Berater für Schulbuchverlage tätig ist. Wichtig sei auch, dass die Versuche immer gelängen. Nichts sei schlimmer, als wenn sich die alte Schülerregel „Chemie ist das was pufft und stinkt, Physik ist das, was nie gelingt“, bewahrheite. Deshalb erprobe er selbst vorher den Versuchsaufbau.

„Lassen wir heute wieder Filmdosen fliegen“, fragt Felix unvermittelt. Anke Bellaire, ausgebildete Biologielehrerin und Werners „Assistentin“, hat schon vorgesorgt. In einer flachen Kunststoffschüssel stehen aufgereihte weiße Dosen, in denen sonst Kleinbildfilme frisch gehalten werden. „Nur mit den Weißen funktioniert“s. Die Schwarzen mit grauem Deckel taugen nichts“, erklärt einer der kleinen Forscher. Die Dosen werden mit einer Backpulver-Wasser-Mischung gefüllt, mit Deckel verschlossen und auf den Kopf gestellt. Die jungen Sprengstoffexperten treten ein, zwei Schritte zurück und legen ihren Oberkörper Abstand nehmend nach hinten. Plötzlich macht es Plopp! und das weiße Geschoss schießt drei Meter in die Höhe. „Stark“, ruft Tobias, der auch nach fünf fliegenden Filmdosen immer noch begeistert ist. Erklären kann er das auch: „Das blubbernde Backpulver setzt Gase frei und die machen so viel Druck, dass das Ding weggesprengt wird.“ Wissenschaftler Werner guckt auf die Uhr: Die Kursstunde ist schon seit zehn Minuten vorbei. Die Weltentdeckerschar immer noch da.

Nicola Klusemann

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