Landeshauptstadt: Die Zahl der Zufriedenen ist hoch Der Politologe Jochen Franzke über die Wahl
Wie bewerten Sie die Wahlbeteiligung?Immerhin beträgt sie 45,9 Prozent.
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Wie bewerten Sie die Wahlbeteiligung?
Immerhin beträgt sie 45,9 Prozent. In Ostdeutschland liegen sie mitunter bei 40 Prozent. Aber wir haben das Phänomen überall; das hat etwas mit der Politikerverdrossenheit zu tun. Die Angebote der Parteien kommen immer weniger bei den Bürgern an. Das ist in der Kommunalpolitik ein Riesenproblem.
Sind die Politiker schuld?
Sie haben sich noch nicht darauf eingestellt, dass sie andere Bürger vor der Nase haben, die mitbestimmen, besser informiert und angefragt werden wollen.
Wie weit kann die Beteiligung sinken?
In Amerika können Sie mit 25 Prozent Oberbürgermeister von New York werden. Demokratietheoretisch gibt es kein unteres Level. Aber wir dürfen auch nicht vergessen, dass es viele gibt, die zufrieden sind mit den politischen Verhältnissen und deshalb nicht wählen gehen. Das ist nicht nur Protestverhalten.
Jann Jakobs liegt weit vorn. Ist Hans-Jürgen Scharfenberg schon geschlagen?
Nein. Wir müssen beim zweiten Wahlgang mit drastisch geringerer Wahlbeteiligung rechnen. Damit ist das nach wie vor eine ganz knappe Sache.
Zwölf Prozent! Ist das das konservative und liberale Wählerpotenzial in Potsdam?
Nein. Es liegt darüber, gerade in Potsdam, wo sich diese Milieus entwickeln. Die Kandidaten sind abgestraft worden für die Leistung der Bundesregierung. Yon hat es hart getroffen, aber auch Richstein hat das Potenzial ihres Milieus nicht ausgeschöpft. Das könnte sich ändern, wenn die Parteien sich durchringen könnten, einen gemeinsamen ,bürgerlichen’ Kandidaten aufzustellen. Dann hätten sie eine Chance.
Die dritte Alternative
Ja. Aber so lange sie mit dieser parteipolitisch kleinen Brille agieren, werden sie in dieser Stadt noch lange kämpfen müssen.
Der Amtsinhaber liegt vorn. Ist das ein Ausdruck von Zufriedenheit?
Das ist das Merkwürdige. Potsdam hat die höchste Lebensqualität im Osten und die besten Noten. Unsere Studien zeigen, die Zahl der Zufriedenen ist in Potsdam hoch. Davon profitiert nun ein Oberbürgermeister, der nicht immer die tollste Leistung abgeliefert hat. Der viel Kritik einstecken musste, weil er seine Verwaltung nicht im Griff hat. Aber das ist der Amtsbonus. Viele Wähler haben sich gesagt, lass uns diesen Oberbürgermeister behalten, da wissen wir, was wir haben.
Ihre Prognose für die Stichwahl?
Es wird unheimlich knapp. Es können wieder hundert Stimmen entscheiden.
Uns steht ein Wahlkrimi bevor?
Ja, im Gegensatz zu diesem Wahlabend wird das ein sehr spannender.
Die beiden roten Kandidaten haben zusammen fast 75 Prozent. Stärkt das die rot-rote Koalition im Land Brandenburg?
Ja, das stärkt die Landesregierung. Natürlich hätten beide mehr gegeneinander kämpfen müssen. Die Stasi-Vergangenheit von Scharfenberg ist von Jakobs nicht so in den Mittelpunkt gerückt worden, was sicher geschehen wäre, wenn es nicht diese Landeskoalition gäbe.
Was war für Sie das Bemerkenswerteste?
Das Erstaunliche ist, das sich die Kandidaten inhaltlich kaum unterscheiden. Sie haben alle die gleichen Schwerpunkte: Verkehr, Bildung, Wohnung, Partizipation der Bürger In anderen Städten gibt es oft einen Grundkonflikt inhaltlicher Art. Hier ist es eher so eine Art persönlicher Wettkampf der beiden Spitzenreiter.
Hans-Jürgen Scharfenberg als Ex-IM – hat das eine Rolle gespielt?
In den Medien schon, bei seinen Wählern nicht. Um so mehr das in den Medien gepuscht wurde, um so mehr entstand ein Solidarisierungseffekt. Die IM-Vergangenheit wird Scharfenberg allerdings bei der Stichwahl Probleme bereiten, Unterstützer in anderen Milieus zu finden. Bei Leuten, die Inhalte durchaus teilen würden, die aber über diese kulturelle Hürde nicht springen wollen.
Das Interview führte Guido Berg
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