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MEIN WENDEHerbst: „Die Zeit ist heiß“

JAHREMAUERFALLDer Herbst 1989 ist als „Friedliche Revolution“ in die deutsche Geschichte eingegangen. An dieser Stelle erinnern sich täglich Menschen in Potsdam an ihre Erlebnisse in dieser Zeit.

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JAHRE

MAUERFALL

Der Herbst 1989 ist als „Friedliche Revolution“ in die deutsche Geschichte eingegangen. An dieser Stelle erinnern sich täglich Menschen in Potsdam an ihre Erlebnisse in dieser Zeit. Heute: Barbara Kuster. Die 60-jährige Kabarettistin arbeitete zur Wendezeit als Sängerin.

Kein Spielfilm, kein Quiz. Barbara Kuster sitzt am 9. November 1989 mit ihrem Mann vor dem Fernseher. Die Potsdamerin engagiert sich im Neuen Forum und weiß, „die Zeit ist heiß“. Das Paar verfolgt eine Nachrichten-Sendung nach der anderen. „Wir waren nur auf Politik aus“, berichtet die damalige Jazz-Sängerin. Irgendwann läuft die Sendung mit dem Aus, dem Aus für die Mauer. Was hat der Schabowski da gesagt? „Unser Gehirn hat gearbeitet.“ Sofort, hat Schabowski gesagt, sofort solle die neue Reiseregelung gelten. Doch was heißt unter DDR- Bedingungen „sofort“? Doch niemals jetzt, gleich, noch heute! Kusters beschließen, am nächsten Tag zur Polizei zu gehen und sich den Stempel zu holen. Nur für einen Westbesuch, nicht für immer. Das Motto des Neuen Forums lautete: „Nicht wir gehen, die sollen gehen.“ Gemeint ist die SED-Führung. Plötzlich rennt die Tochter ins Zimmer und ruft „Mutti, die Grenze ist auf, wir gehen rüber“. „Kind, du hast nicht richtig zugehört“, sagt Barbara Kuster und will nicht wahr haben, dass die Mauer wirklich gefallen ist. Erst als sie spät im Fernsehen Walter Momper den berühmten Satz sagen hört – „Wir Deutschen sind jetzt das glücklichste Volk der Welt“ – da weiß sie, der 9. November 1989 ist ein historischer Tag. Im Stop-and-Go-Tempo überquert sie mit ihrem Mann tags darauf im Trabant die Glienicker Brücke. Was sie damals von ihrem Begrüßungsgeld gekauft hat, weiß sie nicht mehr. „Das war ja nicht das Wichtigste. Das Wichtigste war, West-Berlin zu sehen.“ Trauben jubelnder Menschen empfangen die DDRler; ein Junge wirft einen Nelkenstrauß durch das offene Trabi-Fenster. Ausgerechnet Nelken! Noch zehn Jahre lang liegen die getrockneten Blumen auf dem Wohnzimmerschrank der Kusters – als Erinnerung an den großen Tag. gb

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