
© Manfred Thomas (2), Andreas Klaer (1)
Von Guido Berg: Die zerrinnende Zeit der Zeitzeugen
Heftige Kritik an später Eröffnung der neuen Dauerausstellung in der Gedenkstätte Leistikowstraße
Stand:
Nauener Vorstadt - Der Streit zwischen der Brandenburgischen Gedenkstättenstiftung und den ehemaligen Häftlingen des KGB-Gefängnisses in der Leistikowstraße eskaliert. Nach Monaten relativer Ruhe reagieren Betroffenen-Verbände und Zeitzeugen-Initiativen mit „Bestürzung“ auf die Ankündigung der Gedenkstättenstiftung, die neue Dauerausstellung erst im Februar 2012 eröffnen zu wollen. Besonderer Unmut entzündet sich an der Ankündigung, zum Aufbau der neuen Ausstellung die Gedenkstätte ab September dieses Jahres für ein knappes halbes Jahr zu schließen. „Dieser Plan schlägt den überlebenden Zeitzeugen brutal ins Gesicht“, so Richard Buchner vom Gedenkstätten-Verein Leistikowstraße. Gisela Kurze von der Menschenrechtsorganisation Memorial Deutschland: „Die Uhr tickt.“ Die ehemaligen Zeitzeugen seien über 80 Jahre und wollten noch sehen, was auch dem Haus in der Leistikowstraße wird. Buchner schlägt vor, wenigstens bis drei Wochen vor der Ausstellungseröffnung Bereiche, etwa einzelne Etagen, am Wochenende für Führungen zu öffnen.
Allerdings geht der Dissens weit über die Terminplanung hinaus. „Der Ton macht die Musik“, erklärte Gisela Kurze. Der Gedenkstättenleiterin Ines Reich gelinge es nicht, Empathie mit den ehemaligen Insassen des Gefängnisses herzustellen. Zwar würden die Zeitzeugen um Informationen und Materialien gebeten, „doch außer diesem Abschöpfen ist da nichts“, so Gisela Kurze. Sie und Buchner erinnern daran, dass es ehemalige Betroffene und engagierte Bürger waren, die das Haus in der Leistikowstraße retteten, jahrelang für Führungen offen hielten und von 1997 bis 2006 die erste Ausstellung in den Gefängniszellen zeigten: „Von Potsdam nach Workuta“. Buchner sagte, er selbst habe noch 1994 den Vermerk eines Ministeriumsreferenten gesehen, auf dem hinsichtlich der Zukunft der Leistikowstraße 1 stand „Abreißen“.
Als völlig unverständlich sieht es Gisela Kurze an, dass in der Zwischenzeit bis zur Fertigstellung der neuen Dauerausstellung, nicht wenigsten Teile der Memorial- Ausstellung im Haus oder im neuen Eingangsbereich gezeigt werden. Völlig unkompliziert ließen sich die selbststehende Aufsteller verwenden, auf denen die Biografien etwa der vier ehemaligen Schüler des Einstein-Gymnasiums nachzulesen sind, die in der Leistikowstraße in Untersuchungshaft waren und von denen drei in Moskau hingerichtet wurden. Einzig Hermann Schlüter kam mit Lagerhaft davon und lebt heute in Potsdam.
Kritik kommt auch von der Vereinigung der Opfer des Stalinismus e.V. (VOS): „Wir appellieren an die Leitung der Gedenkstätte, das Haus offen zu halten“, heißt es in einer Mitteilung.
Grundsätzlich äußert sich auch Bodo Platt, ehemaliger Häftling in der Leistikowstraße wie im Speziallager Sachsenhausen, ein sowjetisches Internierungslager, in dem NS-Täter wie der Euthanasie- Arzt Hans Heinze festgehalten wurden, aber auch zahllose unschuldige Opfer der stalinistischen Terrors. Bodo Platt, wegen der Aufbewahrung zweier Briefe wegen „Spionage“ zu 20 Jahren Zwangsarbeit verurteilt, erklärte gestern, die Leistikowstraße solle „zu einem attraktiven Museum“ umgebaut werden, „in dem wesentliche Merkmale der Schreckensherrschaft verloren gehen“. Platt: „Der Eindruck der Total-Isolation wird aufgeweicht.“ Als Beispiel nennt Platt die momentan fehlende Verdunkelung der Kellerfenster. „Wir konnten uns nicht sonnen“, so Platt. Indes hat Horst Seferens, Sprecher der Gedenkstättenstiftung bereits zugesagt, bis zu einer Workshop-Woche im Mai die Kellerzellen wieder zu verdunkeln. Das Resümee Bodo Platts: „Es gibt eine Grundtendenz der Ablehnung dessen, was Zeitzeugen einbringen können“. Platt kritisiert, seit einem Jahr zum Zeitzeugen-Vertreter im Beirat der Gedenkstätte nominiert zu sein, ohne dass seine Berufung erfolgte. Noch an der jüngsten Beiratssitzung habe er als „Gast“ teilnehmen müssen. Auf das Protokoll der Sitzung warte er bis heute vergeblich.
Gedenkstättensprecher Seferens erklärte, nach der Auswahl des Büros Gerhards & Glücker, das die Gestaltung der Ausstellung vornehmen soll, habe dieses im Dezember 2010 einen Zeitplan vorgelegt, der die Eröffnung für Februar 2012 vorsieht. Seferens: „Das ist ein seriöser Zeitplan.“ Eine solche Ausstellung sollte nicht übers Knie gebrochen werden. „Es reicht nicht, Akten in die Vitrine zu legen“, so Seferens. Die Stiftung habe eigene, sehr hohe Maßstäbe, die auch in der Leistikowstraße erfüllt werden müssten. Die Ausstellung werde „grundlegende neue Erkenntnisse und Informationen vermitteln“ und müsse über mehr als zehn Jahre seine Gültigkeit behaupten. Viel Material müsse didaktisch aufgearbeitet werden. „Wir wollen mit modernen Medien auch ein junges Publikum erreichen.“ Das Projekt sei „nicht von außen zu forcieren“. Eine Öffnung während des Aufbaus „ist praktisch nicht durchführbar“, das gesamte Haus werde „eine Baustelle sein“, so Seferens.
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