zum Hauptinhalt

Homepage: Die zukunftsfähige Stadt ist sozial innovativ

Raumpioniere und ihre innovativen Experimente für die Zukunftsfähigkeit von Städten. Von Anika Noack

Stand:

Zum Wissenschaftsjahr 2015 zur „Zukunftsstadt“ schreiben Forscher des Leibniz-Instituts für Regionalentwicklung und Strukturplanung (IRS) über ihre Projekte.

In Großstädten kommen Menschen und Tiere zusammen, Industrie und Dienstleistungen ballen sich auf engstem Raum. Viele Städte gelten mittlerweile aber auch als Ballungsräume von Problemen. In Zeiten des Klimawandels, von Finanz- und Wirtschaftskrisen, von voranschreitender sozialer Polarisierung und im harten Städtewettbewerb um Einwohner, Touristen und Investoren sind die Herausforderungen groß. Die Frage, wie sich Städte aufstellen müssen, um zukunftsfähig zu werden oder zu bleiben, steht im Fokus des Wissenschaftsjahres 2015.

Dass möglichst kreative und innovative Ideen und Konzepte nötig sind, um die Städte fit für diese Herausforderungen zu machen, versteht sich fast von selbst. In diesem Zusammenhang sind jedoch nicht nur städtebauliche, technische oder wirtschaftliche Innovationen gefragt, sondern vor allem soziale. Soziale Innovationen sind neue Handlungspraktiken und neues Wissen, die von den Menschen als Verbesserung erfahren werden und ihre Lebensweise nachhaltig verändern. Das Car-Sharing, die Einführung einer Frauenquote oder die Durchsetzung der Umweltzone in vielen deutschen Großstädten sind namhafte Beispiele.

Neben sozialen Innovationen, die sich weit verbreitet haben, treffen wir in den verschiedenen Mikrokosmen der Stadt auf alteingesessene Bewohner und Zugereiste, die mit lokalen Neuerungen ihren Stadtraum verbessern und zukunftsfähig machen wollen. Menschen, die besonderen Pioniergeist entwickeln, Experimente vor Ort wagen und kreative Problemlösungen vorschlagen, bezeichnen die Sozialwissenschaftler am IRS als Raumpioniere. Sie widmen sich Integrationsproblemen, beispielsweise indem sie gemeinsame Theaterstücke zwischen israelischen und palästinensischen Jugendlichen organisieren. Sie gründen Onlineplattformen, auf denen jeder Bewohner bei Stadtentwicklungsprozessen mitreden kann. Oder sie revitalisieren verlassene Orte, bauen Brachen zu Fahrradreparaturwerkstätten für Kinder und marode Telefonzellen in Buchtauschbörsen um, wie etwa im Berliner Stadtteil Moabit. Aber nicht nur Großstädte gelten als Innovationslabore. Auch in Kleinstädten Brandenburgs werkeln findige Menschen am Zukunftskonzept ihrer Stadt. Zum Beispiel in Treuenbrietzen im Fläming, wo mit Feldheim ein energieautarker Stadtteil entsteht.

Die Raumpioniere dort haben sich von sozialen Problemlagen und Negativimages nicht abhalten lassen. Kreative Pioniere fühlen sich von den „vergessenen Gepäckstücken“ städtischen Strukturwandels geradezu angezogen. Mit ihren Ideen gestalten sie Plätze und Örtlichkeiten neu, erwecken ehemalige Brachen zum Leben und schaffen Orte der Begegnung. Indem sie Nachbarn zum Engagement motivieren, Bewohner miteinander vernetzen und raumbezogene Verantwortung stärken, erzeugen Raumpioniere Atmosphären des Aufbruchs. Führt dies zu einer strukturellen Aufwertung des Gebietes, dann siedeln sich wohlhabendere Bevölkerungsteile an und verdrängen ärmere Bewohner, dann sprechen Raumwissenschaftler von Gentrifizierung. Solchen Prozessen sind sich Raumpioniere in der Regel sehr bewusst. Sie stehen vor der misslichen Situation, einen Spagat zwischen der Umsetzung eigener Raumvisionen zur Verbesserung der wahrgenommenen Lebensqualität und der Vermeidung solcher Verdrängungstendenzen hinzubekommen.

Herausgefordert werden die Aktivitäten von Raumpionieren auch durch ein immer deutlicher werdendes Innovationsdiktum. Kreativität und Innovationswille wird zunehmend allen verordnet, die im Rahmen zivilgesellschaftlichen Handelns Stadtentwicklung mit beeinflussen möchten. Eine solche Neuerungsorientierung wird von der EU-, über die Bundes- bis hin zur Landesebene, aber auch von Unternehmen und Stiftungen nicht mehr nur als legitim, sondern sogar als notwendig für die Finanzierung zivilgesellschaftlichen Engagements erachtet. Das steht oft im Widerspruch zum Anspruch der Raumpioniere, einmal erfolgreich etablierte Projekte auch nachhaltig betreiben und verstetigen zu wollen. Dann wird aus der Innovationslust der Raumpioniere schnell Innovationsfrust.

Und nicht zuletzt aus dem Konzept, mit Innovationen auf Originalität, Besonderheit und Einzigartigkeit einer Stadt zu setzen, Beliebigkeit. Letztere schafft keine zukunftsfähige Stadt.

Dr. Anika Noack ist Soziologin und forscht zu Fragen der Kommunikations- und Raumsoziologie, Quartiersentwicklung und sozialen Innovationen am Leibniz-Institut für Regionalentwicklung und Strukturforschung (IRS) in Erkner.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
console.debug({ userId: "", verifiedBot: "false", botCategory: "" })