Homepage: „Die Zündler sitzen überall“
Der Potsdamer Soziologe Prof. Erhard Stölting zur Auseinandersetzung über die Mohammed-Karikaturen
Stand:
Herr Prof. Stölting, im Streit um die Mohammed-Karikaturen öffnet sich ein Zwiespalt zwischen der Meinungsfreiheit und der Achtung religiöser Gefühle. Wie sollten wir uns in diesem Dilemma positionieren?
Sowohl die Meinungsfreiheit wie die Achtung religiöser Gefühle sind hohe Werte. Aber sie liegen auf unterschiedlichen Ebenen. Die Meinungsfreiheit wurde in Europa und Nordamerika, also im Westen, der staatlichen und religiösen Obrigkeit abgetrotzt. Dieser Kampf war, wie die diktatorischen Regime zeigen, nie endgültig entschieden. Der Westen würde die guten Seiten seiner Geschichte der letzten Jahrhunderte verraten, würde er die Meinungsfreiheit preisgeben. Zu ihr gehört aber auch der geschmacklose Spott über Dinge, die anderen bitter ernst sind. Dass anderswo die Meinungsfreiheit keine Tradition hat und nur bei Minderheiten etwas gilt, sollte im Westen nicht vorbildlich sein.
Religiöse Gefühle genießen aber auch bei uns eine besondern Schutz.
Die Achtung religiöser Gefühle steht in einem anderen Kontext. Nicht der dänische oder ein anderer europäischer Staat hat muslimische Gefühle beleidigt, sondern eine lokale nordeuropäische Zeitung. Die Missachtung der religiösen Gefühle verstieß gegen ein sittliches Gebot, dass sich an individuelle Personen richtet. Auch wenn daher eine Missachtung moralisch verwerflich ist, ist sie durch die Meinungsfreiheit gedeckt. Die europäische Aufklärung war im übrigen stets gegen herrschende Gefühle gerichtet.
Wo liegt der Kern des Problems?
In der muslimischen Welt werden individuelle Verfehlungen ganzen Gesellschaften zugerechnet. Entsprechende Bestrafungen werden gegen ganze Bevölkerungen gefordert oder organisiert. Im Westen wäre es völlig unakzeptabel, wegen eines antieuropäischen beleidigenden Artikels in einer arabischen Zeitung Repressionen gegen die muslimische Bevölkerung insgesamt in die Wege zu leiten. Das soll auch so bleiben. Es enthält aber eine Asymmetrie: Die muslimische Welt erscheint als gefährlich, man muss vorsichtig mit ihr umgehen; mit ihr ist ebenso wenig zu reden wie mit Naturereignissen.
Die Proteste in der islamischen Welt scheinen zum Großteil gut organisiert. Wird der Streit instrumentalisiert?
Derartige Massendemonstrationen sind immer organisiert; spontan entstehen sie nie. Jemand muss die Initiative ergreifen, organisieren und das auch können. Organisator kann eine Regierung sein, wie wahrscheinlich in Syrien, es können auch islamistische Gruppen sein wie in anderen Ländern. Man kann das an Indikatoren förmlich ablesen: Es wurden beispielsweise überall dänische Fahnen verbrannt. Aber die mussten zu diesem Zweck erst einmal beschafft werden; amerikanische Fahnen wären ja eher vorrätig gewesen. Eine umfassende Verschwörung halte ich allerdings auch für unwahrscheinlich. Die Zündler sitzen überall.
Und die Gewaltexzesse?
Generell sollte man derartige Demonstrationen weniger einheitlich sehen, als sie auf den ersten Blick wirken. Neben den organisierenden Gruppen oder Institutionen gibt es – wie bei allen Gewaltexzessen – die jungen Männer, die hier zu Helden werden können und vielleicht sogar ins Fernsehen kommen. Für sie ist die Empörung eine triftige Begründung, aber der Gewaltexzess selbst ist auch ein Genuss. Alles würde schließlich nicht funktionieren ohne die überwiegende Zustimmung der übrigen Bevölkerung, die sich an den Exzessen nur durch Zustimmung beteiligt. Das Deeskalationsproblem liegt vor allem bei ihr.
Die Bevölkerung als Puffer?
Das kann man sich an einem Gedankenexperiment verdeutlichen: Es gibt in Dänemark rechtsextremistische Organisationen und gewaltbereite junge Männer, die bereit wären, das Verbrennen der dänischen Fahnen zu bestrafen. Aber es gibt keine Rachepogrome gegen die muslimische Minderheit, weil die keine Zustimmung in der umgebenden Bevölkerung fänden.
Manchem drängt sich nun der Eindruck auf, in der islamische Welt fehle die Zivilität, prekäre Fragen wie die der Karikaturen sachlich zu diskutieren?
Was kann man da diskutieren? Künstlerisch sind die Karikaturen missglückt, und sie reflektieren nur europäische Ressentiments gegen den Islam. Aber es gibt ja auch witzige Karikaturen zu dem Thema; ich kenne sie, sage aber jetzt nicht, wo sie stehen. Das gekreuzigte Schwein eines deutschen Künstlers, gegen das die Kirche vor einigen Jahren protestierte, war auch blöd. Es gibt aber auch gute antichristliche Witze. Das wird aber höchstens im Westen so gesehen, der erstens die Aufklärung durchgemacht hat und in dem zweitens die Entertainment-Industrie die Religion aus dem Alltag verdrängt.
Stehen wir nun vor dem viel beschworenen Kampf der Kulturen?
Ich habe die These Huntingtons früher für falsch und sein Buch für platt gehalten. Aber es scheint, dass er in einem wesentlichen Sinne doch recht behält: Zumindest in der islamischen Welt werden einige der gegenwärtigen Auseinandersetzungen als religiöse verstanden und als solche ausgetragen. Viele westliche Beobachter und Politiker sehen die Krawalle als Merkmal des Islams – auch wenn man dann einen „Dialog“ fordert. Mit wem und worüber eigentlich? Die als deeskalierend gemeinte Rhetorik kann also genau den gegenteiligen Effekt haben. Das wirkt sich sogar hierzulande unter liberalen Intellektuellen aus, wenn sie nicht hinreichend differenzieren: Deren wachsende Abneigung gegen den Islam macht sich genau an gewaltsamen Demonstrationen und an der Terrorbereitschaft fest. Dass „der“ Islam nicht nur aus fanatisierten Gruppen junger Männer besteht, wird umso leichter übersehen, als stillere und klügere Stimmen in dem Getöse kaum noch zu hören sind.
Der pakistanische Dissident Ibn Warraq hat den Westen in einem aktuellen Essay aufgefordert, für seine Werte einzustehen und sich nicht gegenüber einer islamischen Kultur zu entschuldigen, die er als „verknöchert, totalitär und intolerant“ bezeichnet. Teilen sie diese rigorose Ansicht?
Nein. Totalitäre und intolerante Tendenzen gibt und gab es überall, auch im Westen. Das sollte man gerade in Deutschland gut wissen. Auf der anderen Seite stimmt die Situation in den meisten islamischen Ländern nicht gerade optimistisch. Aber man sollte sich davor hüten, dem Urteil von Ibn Warraq zuzustimmen; auch weil es prinzipiell falsch ist.
Inwiefern?
Die westliche intellektuelle Kultur hat seit der Aufklärung und vor allem seit dem Historismus des ausgehenden 18. Jahrhunderts ein eigenes Verhältnis zu anderen Kulturen ausgebaut: Auf der einen Seite gab es Kolonialismus und Imperialismus und die entsprechenden gewaltsamen und verächtlichen Überwältigungen anderer Regionen und Kulturen. Auf der anderen Seite entwickelte sich gerade im Westen und nur hier eine intensive Beschäftigung mit der Geschichte, der Kultur und der Literatur der anderen. Das hat es vergleichbar später nur in Japan gegeben. Empathie, Rücksicht auf die religiösen Gefühle anderer und ein systematisches Nachdenken über die anderen wurde eben typisch auch europäisch – so wie auch das Gegenteil. Aber auch darin steckt die schon konstatierte Asymmetrie.
Kann und soll der Westen in dem Konflikt überhaupt deeskalieren?
Natürlich. Aber hinter der Frage steht bereits eine gewisse Missachtung: Die muslimischen Protestbewegungen erscheinen in ihr als Naturgewalt, der mit Argumenten nicht zu begegnen ist. Die Vernunft scheint so nur auf der Seite des Westens zu liegen, in der muslimischen Welt toben die unvernünftigen Leidenschaften. Eine moralische Pflicht läge damit ausschließlich bei Europa. Wäre ich Muslim, würde mich das wahrscheinlich beleidigen.
In Deutschland wird nun von Sicherheitspolitikern vor erhöhter Terrorgefahr gewarnt. Wie sollten wir innenpolitisch auf die Krise reagieren?
Die wachsende Terrorgefahr gibt es sicherlich. Aber gerade hier gilt es maßvoll zu bleiben. Der erbitterte Kampf, der in der muslimischen Welt gegen den Westen ausgebrochen ist, sollte hier nicht spiegelbildlich mit einem Kampf gegen den Islam in Europa beantwortet werden. Das wäre nicht nur strategisch verhängnisvoll, es wäre auch dumm und unwürdig. Außerdem würde es Huntington noch mehr bestätigen.
Fragen von Jan Kixmüller und Henri Kramer
Erhard Stölting (63)
hat an der Universität Potsdam seit 1994 die Professur für Soziologie inne. Zuvor lehrte er unter anderem in Berkeley und an der Freien Universität Berlin.
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