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Landeshauptstadt: Die zweite Chance nach dem Schuldenfall Beratung ausbauen! „Wir urteilen nicht, sondern suchen nach Lösungen“ Gründe für Überschuldung: Arbeitslosigkeit und Scheidung Unpfändbar

Auch wenn es schwer fällt: Wer sich von Schulden bedroht fühlt, sollte darüber reden und Hilfe suchen Bei der Schuldner- und Insolvenzberatung des Diakonischen Werkes nimmt man sich viel Zeit für die Hilfesuchenden

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Auch wenn es schwer fällt: Wer sich von Schulden bedroht fühlt, sollte darüber reden und Hilfe suchen Bei der Schuldner- und Insolvenzberatung des Diakonischen Werkes nimmt man sich viel Zeit für die Hilfesuchenden Von Karsten Sawalski Über Geld spricht man nicht. Über Schulden schon gar nicht. Wir haben ein merkwürdiges Verhältnis zu dem Zahlungsmittel, das uns doch die Existenz in einer modernen Gesellschaft erst ermöglicht. Die Angst, man könne den Verdienst direkt mit der jeweiligen Persönlichkeit verbinden, schwingt in vielen Gesprächen übers Geld mit. Wer Schulden hat, gilt als Verlierer, wer viel verdient, kann sich als Gewinner fühlen. Das siegessichere Auftreten des Chefs der Deutschen Bank als Angeklagter beim „Mannesmann-Prozess“ ist ein Beispiel dafür. Die etwa drei Millionen ruinierten Haushalte suchen für ihre Sorgen nicht diese Aufmerksamkeit. Obwohl es längst kein Randphänomen mehr ist, sehen von Überschuldung Betroffene ihr Schicksal meist als persönliches Versagen an. Dabei ist Schulden zu haben ein ganz normaler Vorgang in unserer Gesellschaft und auch wirtschaftlich gewollt: Auf unseren Straßen fahren Autos, von denen etwa 70 Prozent noch nicht bezahlt sind. Ein ganzer Wirtschaftszweig mit Millionen von Arbeitsplätzen würde zusammenbrechen, wenn diese Autos nicht produziert würden. Zum Problem wird Verschuldung, wenn die eingegangenen Schuldverpflichtungen nicht mehr eingehalten werden können - dann spricht man von Überschuldung. Es sind die unvorhergesehenen Schicksalsschläge, die gesellschaftlichen Risiken, die größer geworden sind und in die Schuldenfalle führen: Arbeitslosigkeit und Scheidung treiben Betroffene schnell von der Verschuldung in die Überschuldung. Daneben stellt der Bundesverband der Verbraucherzentralen aber auch fest, dass zunehmend Kinder und Jugendliche im sorglosen Umgang mit Handys und mit leichtsinnig eingerichteten Dispo-Krediten betroffen seien. Die Verbraucherschützer fordern die „finanzielle Allgemeinbildung“ auf den Schulplan zu setzen, weil die Wirtschaft zunehmend mit einem „Konsum auf Kredit“ wirbt. „Der Umgang mit Geld will gelernt sein“, meint auch die Schuldnerberaterin Claudia Statkus vom Diakonischen Werk Potsdam e.V., „es müsste ein Schulfach werden, weil das richtige Konsumverhalten nicht mehr über die Familie transportiert wird“. Die Schuldnerberaterin befürchtet, dass die Anzahl der Verbraucherinsolvenzen in Zukunft noch steigen wird. „Wenn ehemals gut Verdienende nur noch das Arbeitslosengeld II bekommen, geraten sie schnell in den finanziellen Ruin“, sagt Statkus. Wird man dann noch jedem Betroffenen helfen können? Die Menge der Ratsuchenden steigt jetzt schon, während die von Zuschüssen abhängigen Beratungsstellen personell unterbesetzt bleiben. Also doch ein Grund zum Verzweifeln? Nein! Das neue Insolvenzgesetz ermöglicht „redlichen“ Schuldnern eine „Restschuldbefreiung“, wenn diese eine sechsjährige „Wohlverhaltensperiode“ einhalten. „Damit bekommt jeder eine zweite Chance, um einen Neuanfang zu machen“, meint Statkus. Auch das Arbeiten kann sich als Schuldner lohnen. Denn: Die Pfändungsfreigrenzen sind im Jahr 2002 geändert worden, so dass von den Einkünften weit weniger gepfändet werden kann. So bekommt ein alleinstehender Schuldner ohne Unterhaltsberechtigte statt bislang 1209 DM fast die Hälfte mehr, nämlich 930 Euro ausbezahlt. Überschuldung ist für viele Betroffene mit dem Gedanken verbunden: „Da komme ich nie wieder raus“. Auf die Ohnmacht reagieren sie, indem das Problem ignoriert wird. Wenn Briefe ungeöffnet in den Müll geworfen werden, geben Gläubiger aber längst noch nicht auf: Inkassounternehmen verfolgen Forderungen mit elektronischer Datenverarbeitung noch über Jahre - dabei wird niemand vergessen. Aber für jede noch so hohe Schuldensumme gibt es auch einen Lösungsweg. „Hoffnungslose Fälle“ kennen die erfahrenen Schuldnerberater jedenfalls nicht. Nur den ersten Schritt in die Beratungsstelle muss der Schuldner alleine gehen, dann wird ihm geholfen. Allerdings ist die Mitarbeit des Schuldners ist, im Rahmen dessen was er leisten kann, gefragt. Übrigens: Schuldnerberatungen unterstehen der Verschwiegenheitspflicht. Von Karsten Sawalski Geiz ist geil? Wohl kaum, wenn Überschuldung zum Sparen zwingt. Denn trotz der anhaltenden schwierigen Wirtschaftslage sind Betroffene in Deutschland von einer verführerisch mannigfaltigen Warenwelt umgeben und dessen Besitz gilt gesellschaftlich weiterhin als Symbol für den persönlichen Erfolg. Wer also zum Sparen gezwungen ist, fühlt sich verständlicherweise ausgeschlossen und diskriminiert. Und es ist längst keine Randgruppe mehr, die nur noch auf niedrigem Niveau konsumieren kann: Drei Millionen Haushalte seien bereits überschuldet und bei den Schuldnerberatungen meldeten sich bundesweit ein Drittel mehr als im Vorjahr. Tendenz steigend: Bei der Einführung des Arbeitslosengeldes II, das voraussichtlich ab Anfang 2005 Sozialhilfe- und Arbeitslosenhilfeempfänger vereinen soll, rechnen Verbraucherzentralen und Schuldnerberatungen mit einer neuen „Armutswelle“. Das Umdenken im Konsumverhalten scheint unausweichlich zu werden. Der Bundesverband der Verbraucherzentralen fordert bereits, die finanzielle Allgemeinbildung auf den Stundenplan der Schulen zu setzen, ausgehend davon, dass die Altersgruppe der 13- bis 17-Jährigen bereits mit durchschnittlich 370 Euro verschuldet ist, wie der Bundesverband Deutscher Inkassounternehmen berichtet. Aber wie sollen kommende Generationen den Verzicht lernen, wenn das Warenangebot immer vielfältiger wird und bestimmte Güter für die Teilnahme am gesellschaftlichen Leben zunehmend unentbehrlicher werden? Handy, Computer und Auto gehören doch längst zur Grundausstattung eines jeden Bürgers. Schließlich bleiben aber die „unerwarteten Ereignisse“ als Hauptgrund für das Abrutschen in die Überschuldung bestehen und unser Wirtschaftssystem basiert darauf, dass einige Waren nicht sofort bezahlt werden. Sicherlich ist es sinnvoll, den vernünftigen Umgang mit Geld zu lehren, aber zunächst bleiben die Schuldnerberatungen unentbehrlich. Am Beratungsangebot darf nicht gespart werden. Im Gegenteil: Hier ist ein Ausbau dringend nötig. Von Karsten Sawalski Schuldnerberatungen sind eine große Hilfe – aber sie können keine Wunder vollbringen. „Es braucht Zeit", sagt Claudia Statkus, „man kann nicht erwarten, dass Schulden, die über Jahre angewachsen sind, nach einer Beratung wieder verschwinden". Die Sozialarbeiterin betreut in der Schuldnerberatungsstelle des Diakonischen Werkes Potsdam e.V. manche Klienten über Jahre - anderen ist schon mit einer Erstberatung geholfen. Die kostenlose Schuldner- und Insolvenzberatung steht allen überschuldeten und von Überschuldung bedrohten Potsdamer Bürgern offen, die eine Einkommensgrenze der GEZ-Befreiung (1,5-facher Regelsatz der Sozialhilfe und Bruttokaltmiete) nicht überschreiten. Das Schuldenproblem nimmt auch in Potsdam zu: 687 Gespräche sind im vergangenen Jahr in der diakonischen Beratungsstelle geführt worden. Das sind zwar etwas weniger als im Jahr 2002, aber Statkus befürchtet, dass mit der Umsetzung der Hartz-Konzepte, „noch mehr Betroffene" der geringen Anzahl von Hilfsangeboten gegenüber stehen. Die Beratungsstelle der Diakonie ist mit ein und einer viertel Stelle besetzt. Ratsuchende müssen mit vier bis sechs Wochen Wartezeit rechnen. Für dringenden Beratungsbedarf, also bei drohendem Wohnungsverlust oder Kontopfändung, wird meist ein kurzfristiger Termin vereinbart. Außerdem haben die Berater eine „offene Sprechstunde" eingerichtet, in der schon erste Hilfestellungen gegeben werden. Ruhige Gesprächsatmosphäre Für das eigentliche Beratungsgespräch nimmt sich die Sozialarbeiterin Zeit. „Eine ruhige Gesprächsatmosphäre ist wichtig, damit die Hilfesuchenden wissen, dass sie angekommen sind", sagt Statkus. Für die Beraterin ist „interessiertes Zuhören" enorm wichtig. Die Hemmschwelle, eine Beratung aufzusuchen, sei für manche Schuldner so groß, weil sie befürchten, sich erklären zu müssen. „Wir urteilen nicht, sondern suchen nach Lösungen", sagt Statkus. Beim ersten Gespräch klärt die Sozialarbeiterin, inwieweit der Klient in der Lage ist, mit Informationen sich selbst aus der Schuldenfalle zu befreien. Ziel der Schuldnerberatung ist die Hilfe zur Selbsthilfe. Der Ratsuchende soll dazu befähigt werden, zukünftig mit seinen Einkünften eigenständig und verantwortlich umzugehen. „Zunächst brauchen wir einen Überblick der Unterlagen", beschreibt Statkus den ersten Schritt zur Schuldentilgung. Anschließend könne das Erstellen eines Haushaltsplanes weiterhelfen. Gibt es Möglichkeiten die Einnahmen zu erhöhen, an die der Schuldner noch nicht gedacht hat? Beispielsweise mit der Beantragung von Wohngeld. Auch wenn es um die Senkung der Ausgaben geht, kennen die Berater manche Möglichkeit, die der verzweifelte Schuldner bisher übersehen haben könnte. Für die Tilgung der Schulden empfiehlt Statkus ebenfalls eine Planung. „Das Zahlen nach dem Gießkannenprinzip ist unwirtschaftlich", warnt die Sozialarbeiterin und rät, zu Beginn den Gläubiger mit der geringsten Forderung zu bedienen. Einerseits erhalte sich der Schuldner dadurch die Motivation für den „Rest" der Tilgungen, andererseits sei das Gießkannenprinzip auch deshalb unklug, weil mit vielen Gläubigern auch viele Zinsen entstünden, so Statkus. Verbraucherinsolvenz Die Beraterin vermittelt zwischen Gläubigern und Schuldner, übernimmt den Schriftverkehr und schlägt Stundungssätze vor, die auch für den Schuldner annehmbar sind. „Mit den Gläubigern kommt es meist zur Einigung", weiß Statkus erfahrungsgemäß, „die wissen, wann für sie nur Kosten entstehen". „Das Verbraucherinsolvenzverfahren ist anders, weil es hier vorgeschriebene Regelungen gibt", erklärt Statkus. Für „gescheiterte" Selbstständige und überschuldete Verbraucher versucht die Beraterin eine außergerichtliche Einigung herbeizuführen. In einem außergerichtlichen „Schuldenbereinigungsplan" können Gläubiger und Schuldner zwar alles frei vereinbaren, aber die Gläubiger werden einem solchen nur zustimmen und Zahlungsvorschläge als angemessen ansehen, wenn sie die auch im gerichtlichen Verfahren bekommen würden Von Lars Dittmer Der Anteil der bundesdeutschen Haushalte mit Schulden wächst. Wenn Schulden nicht mehr abbezahlt werden können, spricht man von Überschuldung. Experten rechnen in Deutschland mit etwa 2, 77 Millionen überschuldeten Haushalten - 800 000 in den alten und 1,9 Millionen in den neuen Bundesländern. „Die Dunkelziffer einberechnet, kommen wir etwa auf 3 Millionen", schätzt Helga Springeneer vom Institut für Finanzdienstleistungen e.V. in Hamburg. „Überschuldung",so Springeneer, „entsteht meist durch unvorhergesehene Ereignisse." So seien der Arbeitsplatzverlust oder ein sinkendes Einkommen durch die Annahme eines schlecht bezahlteren Jobs heute die Hauptursachen für die Aufnahme von Krediten. Auch Familienzuwachs ist ein häufiger Grund: „Eine wegfallende Arbeitskraft in der Familie, die für das Baby sorgt, zuzüglich der Kosten für den Sprössling, sind für viele nicht mehr zu stemmende Ausgaben", sagt Springeneer, Alleinerziehende seien besonders stark betroffen. Dies bestätigen die Ergebnisse einer Studie des Bundesfamilienministeriums. Für die Gruppe der 20 bis 39-jährigen fanden die Experten hohe Anfälligkeit für Überschuldung heraus. „In diesem Lebensabschnitt häufen sich die Kosten", erklärt Springeneer: Familiengründung, Wohnungskauf oder Hausbau. Andere Altersgruppen seien allerdings auch betroffen. Pflegebedürftigkeit führe immer wieder zu wachsenden Schuldenbergen. Hier sind der Zeitaufwand und die Kosten für Medikamente durchschlagende Faktoren. Das Bezahlen mit Karte und Süchte aller Art sind laut Springeneer eher Randphänomene, die in den Medien übertrieben werden. Zumal sich bei Süchten statistisch oft nicht präzise festhalten lässt was zuerst da war: Die Schulden, die in die Sucht führen, oder umgekehrt. Auch Kreditkarten spielen, anders als oft dargestellt, eher eine untergeordnete Rolle. Mit der Einführung des Euro, ab dem 1. Januar 2002, wurden die Pfändungsfreibeträge erheblich angehoben. Ein Alleinstehender ohne Unterhaltsberechtigte behält von seinem Einkommen statt bislang 1209 DM jetzt 930 Euro. Für den ersten Unterhaltsberechtigten kommen zu diesem Betrag nochmals 350 Euro hinzu, für jeden weiteren Unterhaltsberechtigten jeweils zusätzlich 195 Euro. Auch der pfändungsfreie Anteil am Weihnachtsgeld verdoppelt sich beinahe: Von 540 DM auf 500 Euro. Werden diese Nettolöhne überschritten, dann muss der jeweilige Anteil an eventuell vorhandene Gläubiger direkt vom Arbeitgeber abgeführt werden. Das Bundesministerium der Justiz hat im Bundesgesetzblatt 2003 bekannt gemacht, dass die unpfändbaren Beträge bis zum 30. Juni 2005 unverändert bleiben. KaSa

Karsten Sawalski

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