Aus dem GERICHTSSAAL: Diebestouren im Wahn
Helfer einer geheimen Organisation: Angeklagter schuldunfähig / Therapie nötig
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Ohne psychiatrisches Gutachten – so viel wurde während des Verhandlungstermins am 15. Mai klar – könne das Gericht keine Entscheidung fällen. Zu wirr waren die Aussagen des wegen Diebstahls Angeklagten. Sven S.* (39) wurde beschuldigt, am 30. Dezember 2011 im Media-Markt DVDs und CDs im Wert von 1521 Euro entwendet zu haben. Am 20. Februar soll der Hartz-IV-Empfänger im Kaufland Tiefkühlkost, Fleisch, Wurst, Obst, Milchprodukte und eine Vielzahl von Zeitungen für insgesamt 124 Euro in zwei Taschen gesteckt, dann schnurstracks den Kassenbereich passiert haben, ohne zu bezahlen. Als Motiv gab der Potsdamer an, er habe durch die Diebstähle gegen die seiner Ansicht nach zu niedrigen Preise für Tonträger und Nahrungsmittel protestieren wollen. Die Zeitungen habe er mitgehen lassen, weil Inhalt und Realität nicht übereinstimmen würden.
Am Donnerstag gab es eine Neuauflage des Prozesses. Sven S. wurde wegen Schuldunfähigkeit freigesprochen. Der Angeklagte leide an einer schizophrenen Störung, führte Dr. Klaus Simon, Facharzt für Neurologie und Psychiatrie, in seiner Expertise aus. Er fühle sich von einer geheimen Organisation manipuliert, die im Verborgenen agiere und die ganze Welt unterwandern wolle. Die sinkenden Preise seien ein Symbol für den wirtschaftlichen Verfall des Systems. Die Geheimorganisation wolle ein neues System schaffen, habe ihn quasi zum Helfer erkoren.
Die Erkrankung habe wahrscheinlich schon 2005 begonnen und sich schleichend fortgesetzt, so der Gutachter. Sven S. sei zehn Jahre lang Postzusteller gewesen, habe dem wachsenden Leistungsdruck nicht mehr standhalten können, sei schließlich entlassen worden. Mittlerweile lebe der Mann in fast vollständiger sozialer Isolation, „ja fast Verelendung“. In seiner Wohnung horte er zwanghaft Zeitungen, auf denen er sich „wichtige Notizen“ macht. Wegen der Zustände in der Behausung habe es bereits Ärger mit den Nachbarn gegeben. Sven S. sei auch zusammengeschlagen worden. Der Gutachter empfahl dem Angeklagten, unbedingt Hilfe in einer psychiatrischen Tagesklinik zu suchen, anschließend Angebote zur sozialen Wiedereingliederung zu nutzen.
„Dass in meinem Kopf etwas festgefahren ist, ist mir schon klar“, bestätigte Sven S. „Ich habe ja niemanden zum Reden. Deshalb wäre der soziale Teil einer Therapie okay, von Medikamenten halte ich allerdings gar nichts. Das Chemiezeug wirkt sich negativ auf den Körper aus. Ich würde höchstens Naturheilmittel akzeptieren.“ Die Richterin wies den Angeklagten nachdrücklich darauf hin, die Angebote, die ihm aufgezeigt wurden, anzunehmen. Zwingen kann man ihn allerdings nicht. (*Name geändert.) Hoga
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