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Neues Verkehrskonzept für Potsdam: Diskussion der Beschlussvorlage

Das Verkehrskonzept für eine nachhaltige Mobilität und fließenden Verkehr in der wachsenden Stadt Potsdam - hier lesen Sie die Position von Professor Michael Ortgiese.

Stand:

Diskussion der Beschlussvorlage

Verkehrskonzept für eine nachhaltige Mobilität und fließenden Verkehr in der wachsenden Stadt Potsdam - CDU/ANW-Fraktion

Die Gestaltung des Potsdamer Verkehrssystems führt, wie in jeder Stadt, immer wieder zu Diskussionen in Bevölkerung und Politik. Nach der Vorstellung der geplanten Maßnahmen in der Zeppelinstraße liegt nun der Stadtverordnetenversammlung ein Vorschlag der CDU/ANW Fraktion für ein „Verkehrskonzept für eine nachhaltige Mobilität und fließenden Verkehr in der wachsenden Stadt Potsdam“ vor. Der vorliegende Beitrag will versuchen, die zentrale Forderung des Antrages zu beleuchten. Er soll zudem einen Einblick in die Denk- und Arbeitsweisen der Verkehrsplanung geben.

Der Antrag fordert einerseits ein umfassendes Verkehrskonzept, das neben der Stärkung von Radverkehr und ÖPNV auch die Einbeziehung der Umlandgemeinden einschließt. Die hiermit verbundenen Zielsetzungen sind zu begrüßen, sie sind jedoch in dem geforderten Zeitrahmen bis Ende des Jahres nur schwerlich zu erreichen. Die Begründung des Antrages zeigt zudem,  dass  die vorgeschlagenen Maßnahmen insbesondere auf die Einführung eines ringförmigen Richtungsverkehrs zur Optimierung des Verkehrsflusses in der Stadt sowie zur Verbesserung der Erreichbarkeit des Stadtzentrums zielen. Aufgrund dieser Schwerpunktsetzung beschränkt sich auch der Beitrag auf die Betrachtung der hiermit verbundenen Auswirkungen auf den Verkehr.

Bevor diese zentrale Idee diskutiert wird, soll die Entwicklung des Verkehrsaufkommens in einer Stadt betrachtet werden, in der, im Gegensatz zum Bundestrend, die Einwohnerzahlen in den nächsten Jahren voraussichtlich steigen. Ein Blick in die Statistik des Verkehrswesens zeigt hierzu, dass Einwohner über eine relativ konstantes Mobilitätsbudget von ca. 3,5 Wegen pro Tag verfügen, was dazu führt, dass sich die Gesamtzahl der in der „wachsenden Stadt“ zurückgelegten Wege in den nächsten Jahren erhöhen wird. Je nach stadtplanerischer Umsetzung des Wachstums und der Angebote der Verkehrssysteme ist die Frage zu beantworten, welche Entfernungen mit welchen Verkehrsmitteln zur Durchführung der Wege zurückgelegt werden. Je größer die Distanz der neuen Baugebiete von den potentiellen Zielen, z.B. zur Innenstadt, umso länger werden die Wege. Die Wahl des Verkehrsmittels hängt dann von dieser Entfernung ab, berücksichtigt aber auch das Verkehrsmittelangebot sowie die persönlichen Präferenzen der Verkehrsteilnehmer.

Uns muss bewusst sein, dass die Zahl der in Potsdam zurückgelegten Wege proportional zum Bevölkerungswachstum steigen wird. Hiermit verbunden ist auch eine Steigerung der Verkehrsleistung, d.h. die Summe aller in Potsdam mit den Verkehrssystemen zurückgelegten Kilometer. Je nach Lage der neuen Baugebiete wird dieser Anstieg der Verkehrsleistung höher oder niedriger ausfallen. Gehen wir zudem von dem heutigen Verhalten bei der Wahl des Verkehrsmittels aus, wird sich die  Verkehrsleistung des motorisierten Individualverkehrs weiter erhöhen und somit auch die Lärm - und Luftschadstoffbelastungen. Eine absolute oder zumindest eine prozentuale Verringerung des motorisierten Verkehrs bedarf der deutlichen Änderung des persönlichen Mobilitätsverhaltens. Alle Erfahrungen der Vergangenheit haben hier jedoch gezeigt, dass diese nur durch eine Kombination von zusätzlichen Angeboten der Verkehrsmittel des Umweltverbundes (Fuß, Rad, ÖPNV) und Restriktionen für den Autoverkehr zu erreichen ist.

Eine Verlagerung der Verkehrsmittelwahl hin zu den Verkehrsmitten des Umweltverbundes soll aber nicht heißen, dass wir in der Zukunft auf motorisierte individuelle Mobilität ganz verzichten können. Insbesondere in den weniger dicht besiedelten ländlichen Regionen sind attraktive Alternativangebote vergleichsweise schwer zu organisieren, eine Rahmenbedingung, die insbesondere bei der Gestaltung der Stadt-Umland Beziehungen zu beachten ist. Planung muss somit immer bestrebt sein, einen Ausgleich zwischen den unterschiedlichen Interessen zu schaffen. Hierzu bedarf es politischer Vorgaben, da die Entscheidung für ein Verkehrsmittel und die hiermit verbundenen Vor- und Nachteile nicht von der Planung alleine getroffen werden können, die sollte aber die Wirkungen der Maßnahmen aufzeigen.

Nun zu diesen Wirkungen und somit zum Kern des Antrages, der über die Einführung eines Innenstadtrings, der bis auf wenige Teilabschnitte im Einrichtungsverkehr organsiert ist, den motorisierten Individualverkehr im Innenstadtbereich flüssiger gestalten will. Die Verkehrsführung auf einer als Einbahnstraße organsierten Ringfahrbahn hat den theoretischen Vorteil, dass an Kreuzungen und Einmündungen die Konflikte mit dem Gegenverkehr ganz oder teilweise entfallen und die Leistungsfähigkeit der Knotenpunkte somit gesteigert werden kann. Zur Bewertung der Idee sollen im Folgenden der einzelne Knoten sowie die Wirkung auf die Organisation des Verkehrs im gesamten Netz diskutiert werden.

Die Betrachtung startet mit dem Verkehrsablauf an einer Kreuzung. Auch wenn hier, wie zuvor dargestellt, die theoretische Leistungsfähigkeit steigen kann, ist zu beachten, dass auch für den Fall einer Führung des motorisierten Individualverkehrs im Einrichtungsverkehr für Fußgänger, Radfahrer und ggf. auch für den öffentlichen Verkehr eine Führung in beiden Fahrtrichtungen möglich sei muss. Nur so kann die erforderliche Qualität der Fuß-, Rad- und ÖV-Netze gesichert werden, die sich nicht zuletzt durch kurze Wege auszeichnen. Die Erhöhung der Leistungsfähigkeit wird somit nicht so hoch ausfallen, wie dies in dem theoretischen Fall einer ausschließlichen Betrachtung des motorisierten Individualverkehrs möglich ist.

Wie sieht nun die netzweite Betrachtung aus? Hier gilt, dass Erreichbarkeit, z.B. die der Innenstadt, als Summe der beiden Wege von der Wohnung zum Ziel und zurück beschrieben wird. Zur Beantwortung der Frage soll eine einfache, in der Abbildung gezeigte Kreisfahrbahn, herangezogen werden. Fährt ein Fahrzeug am Knoten A in den Kreis ein und verlässt diesen am Knoten C, so verlängert sich die für Hin -und Rückweg erforderliche Wegstrecke mit der Einführung des Einbahnverkehrs nicht. Dieser Fall dürfte aber nur für einen geringeren Prozentsatz aller Wegebeziehung von Relevanz sein. Für ein Fahrzeug hingegen, das wiederum am Knoten A einfährt, die Kreisbahn jedoch schon am Knoten B verlässt, führt die Einrichtung des Einbahnverkehrs zu längeren Wegen. Auf dem Hinweg kann es zwar den direkten Weg A-B nutzen, für den Rückweg gelangt es aber nur von B über C und D zurück nach A. Die Verkehrsleistung wird gegenüber der heutigen Netzgestaltung zunehmen. Dieses theoretische Ergebnis wird im konkreten Fall von Potsdam noch verstärkt, da es sich bei dem geplanten Innenstadtring nicht um einen Kreis sondern um eine Ellipse handelt, so dass nochmals längeren Wege zu erwarten sind (rechter Teil der Abbildung).

Den potentiellen Optimierungsmöglichkeiten am Knoten steht somit eine ggf. deutliche Erhöhung der Verkehrsleistung im Gesamtnetz gegenüber. Hinzu kommt, das der Ring einige heute schon stark belastete Streckenabschnitte (Nuthestraße einschließlich Knoten Berliner Straße) zusätzlich belasten wird. In den Spitzenstunden werden sich die bekannten Probleme somit weiter verstärken. Die Verkehrsteilnehmerinnen und Teilnehmer werden versuchen, wo immer es möglich ist, diesen Nachteil durch „Schleichwege“ im inneren des Kreises auszugleichen. Eine Reduktion der zulässigen Höchstgeschwindigkeit auf 30km/h wird daran nichts ändern. 

Auf die Spitzenstunden am Morgen und am Nachmittag entfallen weiterhin nur ca. 35% des gesamten Verkehrsaufkommens. Zu diesen Zeiten würden sich die geplanten Leistungsfähigkeitssteigerungen am Knoten im Idealfall bemerkbar machen. Ob diese jedoch ausreichen wird, um die Gesamtreisezeiten zu verkürzen, ist fraglich. Die Reisezeiten werden sich für 65% des Verkehrs, der sich außerhalb der Spitzenstunden im Netz bewegt und zu dem auch der Einkaufsverkehr zählt, verlängern. Die Erreichbarkeit der Innenstadt wird sich somit für diese 65% deutlich verschlechtern.

Neben der Erreichbarkeit sind Wirkungen auf die Luftschadstoffbelastung sowie auf den Lärm zu betrachten. Durch einen besseren Verkehrsfluss an den Knotenpunkten können die Emissionen der Fahrzeuge gesenkt werden. Optimierte Steuerungsverfahren am Knoten leisten einen Beitrag. Betrachtet man aber die zuvor dargestellte Erhöhung der Gesamtverkehrsleistung im Netz, so dürfte die hiermit verbundene Erhöhung der Emissionen zu deutlich negativen Effekten führen und somit die durch die Optimierung am Einzelknoten ggf. erreichten positiven Effekte mehr als überkompensieren. Eine Optimierung der Steuerung über grüne Wellen kann zudem auch ohne Ringlösung erfolgen.

Mit Blick auf die zukünftig mögliche Verschärfung der Gesetzeslage ist zu bedenken, dass nicht nur die Grenzwerte weiter herabgesetzt sondern auch die Messmethoden geändert werden können, was auch schon in der Vergangenheit der Fall war. So könnten die heutigen punktuellen Messungen an den fünf Messpunkten in der Stadt Potsdam durch eine flächige Betrachtung ersetzt werden. Diese kann durch eine Kombination von Messungen und Modellrechnungen erfolgen. In diesem Falle würde die Erhöhung der Verkehrsleistung im gesamten Netz noch stärker an Relevanz gewinnen. Weiterhin ist zu beachten, dass unsere Umwelt-  und Planungsgesetze über die Grenzwerte hinaus Optimierungsgebote enthalten, die uns zur Minimierung der Einwirkung unseres Handelns auf die Schutzgüter verpflichten. Die Erhöhung der Verkehrsleistung und Reiseweiten ist somit auch aus Umweltsicht kritisch zu hinterfragen.

Zurück zum Verkehr selbst. Eine Ringlösung in Einbahnverkehr verschlechtert die Robustheit des Netzes im Falle von Baustellen oder Havarien. Auch hier gilt, dass die mit dem Richtungsverkehr verbundene geringere Netzdurchlässigkeit prinzipiell negativ zu Buch schlägt. Im Detail könnte allenfalls diskutiert werden, inwieweit durch eine veränderte Straßenraumaufteilung auf den Strecken und am Knoten punktuelle Reserven geschaffen werden. Hier ist jedoch festzulegen, wie die nicht mehr erforderlichen Fahrstreifen verwendet werden: stehen sie für weitere Kapazitätserhöhung im motorisierten Individualverkehr zur Verfügung oder soll die Attraktivität der Verkehrsträger des Umweltverbundes verbessert werden?

Die dargelegten Überlegungen können durch detailliert Modellbetrachtungen, die auch die genaue Verkehrsführung im Ring betrachten, nachgeprüft werden. Hierzu müssten die Ampel-Programme zur Knotenpunktsteuerung entworfen werden, um so die Wirkungen in den Hauptverkehrszeiten als auch in den Nebenverkehrszeiten betrachten zu können. Dies ist mit einem nicht unerheblichen Planungsaufwand verbunden. Ob sich ein entsprechender Aufwand lohnt, ist jedoch fraglich. Die Ressourcen sollten lieber in innovative Lösungen fließen, die in den vergangenen Jahren entwickelt wurden und jetzt zur Umsetzung bereitstehen, wobei es auch hier immer auf den richtigen Mix der Maßnahmen ankommt.

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