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Landeshauptstadt: Dixi-Klo als Barrikade auf die Straße geschoben

Gerichtliches Nachspiel einer Anti-DVU-Demonstration Anwalt widersprach Verlesung der Anklageschrift

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Gerichtliches Nachspiel einer Anti-DVU-Demonstration Anwalt widersprach Verlesung der Anklageschrift Von Gabriele Hohenstein Die vermeintliche Straftat liegt mehr als vier Jahre zurück. Hätte sie nicht diesen politischen Hintergrund, wäre das Verfahren gegen Simon K. (29) vielleicht längst eingestellt worden. Der gebürtige Passauer soll am Abend des 5. September 1999 – gemeinsam mit etwa 70 bis 100 Gleichgesinnten – bei einer Demonstration gegen den Einzug der DVU in den Brandenburgischen Landtag am Brauhausberg einen mit CDU-Wahlwerbung beschrifteten Kleintransporter beschädigt und eine Dixi-Miettoilette als Barrikade auf die Straße geschoben haben, die dadurch etliche Beulen davongetragen haben soll. Zudem – so die Anklage – habe sich Simon K. bei der Zusammenkunft mit einer Sturmhaube vermummt, um die Aufnahme seiner Personalien durch die Polizei zu erschweren. Nach Paragraf 17 a des Versammlungsgesetzes ist es verboten, bei öffentlichen Veranstaltungen „in einer Aufmachung zu erscheinen, die geeignet und den Umständen nach darauf gerichtet ist, die Feststellung der Identität zu verhindern oder den Weg zu derartigen Veranstaltungen in einer solchen Aufmachung zurückzulegen“. Und Wahlwerbung – welcher Parteien auch immer – böswillig zu zerstören, ist Sachbeschädigung. Sie wird mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder Geldstrafe sanktioniert. Öffentliche Bedürfnisanstalten gar als Straßensperren zu missbrauchen, ist vom Gesetzgeber mit Sicherheit auch nicht genehmigt worden. Mangel in der Anklage? Noch bevor Staatsanwalt Peter Mitschke gestern die Anklageschrift vor dem Amtsgericht verlesen konnte, wurde er von dem Berliner Verteidiger des Angeklagten gestoppt. Vehement widersprach der Jurist der Behauptung der Ermittlungsbehörde, das Dixi-Klo sei bei seinem Einsatz als Barrikade beschädigt worden. „Das ist aus dem Akteninhalt nicht erkennbar.“ Sein Mandant könne damit dem Verdacht der Strafverfolgung Unschuldiger ausgesetzt werden“, ereiferte sich der junge Rechtsanwalt. Aus seiner Sicht läge ein gravierender Mangel in der Anklage vor. Sie hätte deshalb vom Gericht nicht zugelassen werden dürfen, referierte er und trug damit eigentlich nur Eulen nach Athen. Ruhig erklärte der Vorsitzende: „Der Antrag auf Nichtverlesung der Anklageschrift wird zurückgewiesen.“ Grund: Der Verteidiger habe es schlichtweg versäumt, rechtzeitig Einspruch gegen die seiner Meinung nach fehlerhafte Anklage einzulegen. Doch wer nun glaubte, die Vorgänge jenes Herbsttages würden endlich erhellt, sah sich enttäuscht. Simon K. berief sich auf sein Schweigerecht. Das wurde den Angeklagten von Justitia ausdrücklich zugebilligt und darf vom Gericht nicht nachteilig gewertet werden. Grinsend schaute er in die Runde. Sein Verteidiger strampelte sich weiter ab. „Ich bitte um Unterbrechung der Hauptverhandlung, um einen unaufschiebbaren Antrag zu stellen“, betonte er. Nach 15 zähen Minuten des Wartens verkündete der Jurist aus Berlin, ihm sei bislang ungenügende Akteneinsicht gewährt worden. Speziell gehe es ihm um ein Video besagter Demonstration, von dem er weder wisse, was darauf zu sehen sei, noch wer es aufgenommen habe. „Ich habe ausdrücklich beantragt, es zugeschickt zu bekommen, da es alleinige Grundlage der Anklage ist. Aber bis heute ist nichts passiert. Daher konnte ich mich nicht gründlich auf die heutige Hauptverhandlung vorbereiten“, begründete er. Kein Fall notwendiger Verteidigung Der Amtsrichter regte an, der Verteidiger möge sich das Video nunmehr in Ruhe anschauen. Solange solle die Verhandlung unterbrochen werden. Danach – so seine Hoffnung – könne der Prozess fortgesetzt werden. Der Rechtsanwalt bezweifelte allerdings, ad hoc eine ordentliche Verteidigungsstrategie aufbauen zu können und beantragte die Aussetzung der Hauptverhandlung. Würde das Gericht dem nicht folgen, läge ein Revisionsgrund vor, warnte er. Staatsanwalt Mitschke, der sich bisher sichtlich bezähmte, warf ein: „Das ist kein Fall einer notwendigen Verteidigung.“ Recht hat er. Der Anklagevorwurf ist weder kompliziert noch lässt das mögliche Urteil eine drakonische Sanktion erwarten. Außerdem – so der Anklagevertreter – sei das Video ein Beweismittel und bleibe als solches in den Händen der Staatsanwaltschaft. „Sie hätten die Möglichkeit gehabt, das Band rechtzeitig vor der Verhandlung im Gericht anzusehen“, rügte Mitschke den Verteidiger. „Sie geben mir das Video heute also nicht mit?“, wagte der engagierte Advokat einen letzten Vorstoß. Der Vorsitzende schüttelte den Kopf. „Kann ich hier wenigstens eine Kopie ziehen?“ Doch diese Illusion scheiterte an mangelnder technischer Ausstattung des Potsdamer Amtsgerichts. „Es sei denn, Sie haben einen zweiten Videorekorder dabei“, meinte der Richter. Wäre da nicht – wie eingangs erwähnt – dieser politische Hintergrund, man könnte glatt an eine Provinzposse denken. Nun geht es am 1. Dezember weiter. Hoffentlich hat der einzige Zeuge ein gutes Gedächtnis.

Gabriele Hohenstein

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