Landeshauptstadt: Döner für den Eber
Die Familie Harnaß wohnt mit mehr als 70 Tieren im Park Babelsberg – in einem Pförtnerhäuschen. Touristen glauben oft, ihr Heim sei eine Sehenswürdigkeit und wollen es besuchen. Manchmal dürfen sie
Stand:
Die ausländische Frau wollte unbedingt rein. Viola Harnaß konnte die hartnäckige Touristin nicht von ihrem Vorhaben abbringen: „Sie dachte, das Haus ist eine Kirche“, erzählt die 42-jährige Babelsbergerin: „Sie hat mir nicht geglaubt, dass wir hier wohnen, also habe ich es ihr gezeigt.“ Auf ihr Heim im Park Babelsberg 6 wird die Familie Harnaß oft angesprochen. Das kleine Pförtnerhäuschen am Parkeingang an der Grenzstraße ist auch ein ganz besondere Adresse.
Das liegt nicht nur an der verspielten neogotischen Fassade, sondern vor allem an seinen Bewohnern. Ganze 77 sind es – 73 Tiere und vier Menschen. Wobei die Tiere alle im dazugehörigen Garten leben, das Haus ist den zweibeinigen Familienmitgliedern vorbehalten: Viola und Detlef Harnaß und den Söhnen Dave und Ron. Der 19-jährige Ron ist der Grund, warum die Familie 1997 aus Potsdam-West in das Babelsberger Gartendenkmal zog. Weil er als Kind an Asthma litt, vermietete die Stiftung Preußische Schlösser und Gärten ihrer Gärtnerin Viola Harnaß das Haus im Grünen: Fünf Zimmer, Küche, Bad und Keller für rund 400 Euro. Die meisten Leute, die sie zum ersten Mal dort besuchen, würden staunen wie groß das Haus ist – und wie verwinkelt, sagt sie. Die grüne Umgebung der Wohnung tat Ron gut, vor allem die frische Luft. Zu jeder Jahreszeit konnten die Kinder im Park spielen und im Sommer seien sie oft ins Strandbad gegangen.
Nun sind die beiden Sprösslinge erwachsen, wohnen aber noch bei Mutti und Vati, der als Polier arbeitet. Während Dave gerade sein Fachabitur in Wirtschaft absolviert, lernt Ron in Beelitz Koch. „Schön für die Mutti“, sagt Viola Harnaß: „Abends, wenn ich mal Appetit auf Eiersalat habe, muss ich ihn mir nur beim Sohn bestellen.“ Denn Eier sind im Harnaßschen Haushalt immer vorhanden.
Dafür sorgen die 30 Hühner, die täglich zehn Eier legen. So viele können die vier gar nicht essen. Und darum warten die Eier in Zehnerpackungen im Kühlschrank darauf, verschenkt zu werden. Vor allem an die, die jeden Tag Futter für die vielen Tiere bringen. „Bekannte und Unbekannte“ hängten einfach Beutel mit altem Brot und Kuchen an den Zaun. Andere klingeln, wie der Catering-Service von den Parkstudios nebenan. Sich abends im Wohnzimmer ungestört mit Viola Harnaß zu unterhalten ist darum so gut wie unmöglich. Im Schnitt schellt es alle 20 Minuten an der Tür.
Ab und zu gibt es auch etwas ganz Leckeres wie die Reste eines Dönerspießes. Vor allem Allesfresser Rudi freut sich darüber. Der verschmuste Eber ist der Star des Parks: „Wegen Rudi stehen hier oft ganze Hortgruppen am Zaun oder Familien mit Kindern“, sagt Viola Harnaß. „Es gibt eine Lücke im Gitter, durch die können sie ihn streicheln“, verrät Detlef Harnaß. Vor vier Jahren haben sie Rudi in die Familie geholt. Als das Ferkel von einem Hängebauchschwein und einer Haussau damals in einer Annonce angeboten wurde, dachten die Harnaß“: „Wir versuchen es mal mit einem Schwein als zweiten Hund.“
Die weiße Hündin Luna und das rosa Schwein sind mittlerweile „beste Freunde“ und liegen meistens gemeinsam faul in der Hundehütte und kuscheln. Aber Rudi kann auch anders. Wenn er erst einmal losgaloppiert, wird er richtig schnell. Darum muss er auch zu Hause bleiben, wenn Viola Harnaß mit Luna im Park Gassi geht. „Der haut sonst ab“, erklärt sie. Im Garten habe er aber genügend Auslauf. Das Reich der Harnaß“ sieht aus wie ein Miniatur-Bauernhof: Eine Wiese zum Erholen, Apfelbäume, Gemüsebeete und kleine Ställe und Kabuffs für die Hühner, Enten und Kaninchen. Und dazwischen Katzen, die sich wohlig in der Herbstsonne räkeln. Hier, wo im 19. Jahrhundert der Pförtner des Parktores wohnte und zu DDR-Zeiten der Mundmaler Thomas Kahlau, hat nun Viola Harnaß ihr Glück gefunden. Hier lebt sie ihren Traum, sagt sie: „ein Landleben mitten in der Stadt“. Dafür nimmt sie in Kauf, dass auch nachts hin und wieder Autos lautstark über das Kopfsteinpflaster der Straße Alt Nowawes rattern, die genau auf ihr Schlafzimmer führt. Dass manche zu schnell fahren, kann Viola Harnaß allerdings nicht verstehen: „Die sind nicht nur laut, die überfahren auch oft Katzen.“ Schon häufiger musste sie bei einem Nachbarn klingeln, weil sie sein totes oder verletztes Tier am Straßenrand gefunden hatte. Manchmal holen diese sich dann nach einem solchen Todesfall ein neues Kätzchen oder wie neulich ein Kaninchen bei Familie Harnaß ab. Meistens aber bringen sie Tiere, die woanders keinen Platz haben. Denn sie wissen: „Tiere sind mein Hobby“, glaubt Viola Harnaß.
Dass sie und ihre Familie sich in Babelsberg so wohl fühlen, läge aber vor allem an den Menschen in dem „grünen Stadtteil“ und ihrem „großen Miteinander“, sagt sie: „Wie in einem Dorf im positiven Sinne“. Die Harnaß“ jedenfalls sind schon längst „mit Leib und Seele Babelsberger“.
- showPaywall:
- false
- isSubscriber:
- false
- isPaid: