
© Manfred Thomas
Sport: Dressur für die Seele
Die erfolgreiche Turnierreiterein Marion Jende aus Klaistow saß Jahre nicht mehr auf dem Pferd. Ein tragisches Erlebnis führte sie zurück in den Sattel
Stand:
Die Rückkehr aufs Pferd war wie ein Reflex. Marion Jende hatte gerade einen Verkehrsunfall erlebt und einem verunglückten jungen Mann Erste Hilfe geleistet. Vergebens. Sie fuhr nach Hause, mit Tränen und unter Schock, und dachte: „Du musst jetzt was machen, was dir gut tut!“ Sie sattelte ihr Pferd Tenno und ritt.
Es war der erste Ausritt nach vielen Jahren. Vier Tage später wurde sie mittelmärkische Meisterin im Dressurreiten. Kein wirklich großer Titel, mit 15 Teilnehmern war die Konkurrenz überschaubar. Aber es war ohnehin mehr als ein Turniersieg. Der Ritt durch das Dressurviereck war wie eine Therapie gegen die traumatischen Bilder im Kopf, Seelenbalsam, eine wiedergewonnene Vertrautheit.
Marion Jende ist 47 Jahre alt und lebt seit zehn Jahren in Klaistow, wo sie eine Pferdezucht und einen Reiterhof betreibt. Aufgewachsen ist sie in Bad Hersfeld, im Norden Hessens. Auf dem Reiterhof ihrer Eltern ist sie eher aufs Pferd gestiegen als aufs Fahrrad. Als sie 14 war, wurde aus der Liebe zum Reiten ein Sport: Marion Jende avancierte zu einer ambitionierten Springreiterin. Ihren größten Erfolg feierte sie 2006 beim Land-Rover-Cup, einem der größten deutschen Reitturniere. 600 Reiter wollen daran teilnehmen und versuchen, über Qualifikationsturniere ins Finale zu kommen. Nur 30 schaffen es – und vor acht Jahren war Maion Jende dabei. Am Ende wurde sie Siebte. 2010 stürzte sie vom Pferd und musste am Rücken operiert werden. Knapp vier Jahr ist sie nicht mehr geritten, ehe sie vor wenigen Wochen zu dem zurückfand, was sie glücklich macht.
„Dressur ist die Grundlage fürs Springreiten“, sagt Marion Jende. Schritt, Trab, Galopp – „die Gangarten sind die gleichen, nur das Tempo ist ein anderes“. Es sind natürliche Gangarten eines Pferdes, „aber das geht nicht so, wie der Mensch es gern hätte. Die würden viel schneller losmarschieren", sagt Marion Jende. Daher sei die Ausbildung eines Dressurreitpferdes eine mühselige Angelegenheit, die drei bis vier Jahre dauert und „eine Menge Leckerbissen als Belohnung kostet“, wie die Reittrainerin sagt. „Man muss das tausendmal üben: Schritte vorwärts, rückwärts, antraben, durchparieren.“ Die ersten Übungseinheiten sind ganze zwei Minuten kurz. „Dann werden es zehn Minuten bis maximal eine halbe Stunde am Tag“, so Jende.
Jahre dauert es auch, um ein guter Dressurreiter zu werden. „Es braucht unzählige Stunden, um sich auf den Körper und die Bewegungen eines Pferdes einzustellen, damit es sich so bewegt, als würde es jede Gangart freiwillig und mit großer Zufriedenheit machen“, sagt Jende. Dass sie und ihr Pferd Tenno nach jahrelanger Abstinenz nur drei Tage Training benötigten, um sich für die Dressur-Kreismeisterschaften und in der Folge für weitere Turniere fit zu machen, erklärt Marion Jende mit ihrer langen Erfahrung und einer großen Vertrautheit zwischen ihr und dem Hengst. „Wir kennen uns zwölf Jahre, sind wie ein altes Ehepaar und verstehen uns blind.“ Zudem wurde er jeden Tag von ihren Reitschülern geritten und bewegt.
Das Programm eines Dressurreit-Wettkampfes ist genau vorgeschrieben und hat über mehrere Jahre und für jedes Turnier Gültigkeit, bis von Wettkampfrichtern und Reitprofis ein neues verfasst wird. In einem Aufgabenheft sind genau die Linien und die Gangarten vorgeschrieben, die im Dressurviereck geritten werden müssen. „Es ist wie beim Eiskunstlaufen“, sagt Marion Jende, „wer am saubersten und fehlerfrei reitet, bekommt die meisten Punkte.“
Bei einem Turnier eine Woche nach dem Gewinn der mittelmärkischen Kreismeisterschaft war für Jende und Tenno in der Vorrunde Schluss. „Das ist völlig in Ordnung“, sagt sie. Zu viel Ehrgeiz und Verbissenheit sei nicht gut, das übertrage sich aufs Pferd, sodass dieses dann erst recht nicht gut geht. Ohnehin hat sie mit der Rückkehr in den Sattel mehr gewonnen, als es ein Siegerkranz ausdrücken kann. Jetzt gibt sie wieder jeden Tag Reitunterricht und bringt ihren Reitschülern auf ihren Turnierpferden das bei, was ihr selbst so viel bedeutet: Harmonie von Reiter und Pferd.
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