Homepage: „Dünner und löchriger“
Dr. Lutz Schirrmeister erforscht wie sibirische Permafrostböden auf Klimaänderungen reagieren
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In Potsdam beschäftigen sich zahlreiche Wissenschaftler mit dem Klimawandel und seinen Folgen. Sie forschen am Potsdam Institut für Klimafolgenforschung (PIK), aber auch bei den Geoforschern, den Polarforschern, den Agrarforschern oder an den Hochschulen. Die PNN stellen Forscher mit ihren aktuellen Erkenntnissen, ihren Prognosen und auch Ratschlägen vor. Heute: Dr. Lutz Schirrmeister vom Alfred Wegener Institut für Polar- und Meeresforschung (AWI) über mögliche Auswirkungen des Klimawandels auf die Permafrostgebiete.
Herr Schirrmeister, wie jedes Jahr fliegen Sie auch in diesem Sommer wieder mit einer Expedition ins nordöstliche Sibirien, um ihre Bohrungen und Messungen im Permafrostgebiet fortzusetzen. Wie macht sich dort in der Kälte die Klimaerwärmung bemerkbar. Wird Ihnen der Boden unter den Füßen weich?
Wo wir forschen, im Lena-Delta und auf den Neusibirischen Inseln, taut der Permafrostboden im Sommer etwa einen halben Meter auf. Das ist normal. Darunter bleibt er bei minus drei bis vier Grad gefroren und bis mehrere hundert Meter tiefer bei minus zehn Grad. Es bräuchte schon eine Menge Energie, um das aufzuschmelzen. Dort allerdings, wo die Permafrostzone dünner und nur fleckenhaft und damit angreifbarer ist, wo also mehr Energie wirken kann, zum Beispiel im Süden von Alaska und im südlichen Sibirien, wird die ständig gefrorene Schicht erkennbar dünner und löchriger.
Mit welchen Folgen?
Die vorhandene Infrastruktur, die Fundamente von Straßen, Brücken und Häusern sind nach den jetzigen Bedingungen des Permafrostbodens berechnet. Wenn der nun stärker auftaut, dann werden sie instabil.
Befürchtet wird, dass aus dem auftauenden Boden vermehrt Methan entweicht, das den Treibhauseffekt weiter anheizt.
Methan entsteht fast immer in organikreichen Ablagerungen unter sauerstoffarmen Bedingungen. Nur sind in Sibirien aufgrund der riesigen Feuchtgebiete die Dimensionen größer. Für uns ist es wichtig herauszufinden, unter welchen Bedingungen sich Treibhausgase im Permafrost bilden. Wie viel des Methans wird von Organismen verbraucht und wie viel gelangt tatsächlich in die Atmosphäre? Da wirkt ein ganzes System von Einflussgrößen, die wir noch nicht genau kennen. Außerdem gibt es zu unseren Messungen kaum Vergleiche aus vergangenen Zeiten.
In Ihren Permafrostsequenzen aber können Sie Jahrtausende zurück in die Klimageschichte schauen, in der es immer auch Phasen der Erwärmung und Abkühlung gab.
Wir können daran ablesen, wie sich Temperaturen, Niederschläge und die Vegetation verändert haben. Eingefrorene Pollen von Sträuchern, Kräutern und Gräsern sind zum Beispiel wichtige Indikatoren. Sie deuten manchmal auch auf sprunghafte Erwärmungen hin. Aber erst, wenn wir genauer wissen, welche Stoff- und Energieflüsse im Permafrost stattfinden, können wir darüber gesichert Auskunft geben, wie sich eine mögliche Erwärmung in den Boden hinein auswirkt. Hierzu ist noch eine Vielzahl von Messungen nötig.
Welche Bedeutung haben ihre Untersuchungen für die aktuellen Klimamodelle?
Wir müssen viel stärker unsere beobachtende Forschung mit der modellierenden Disziplin zusammenbringen. Erst seit 150 Jahren wird das Wetter aufgezeichnet. Wir haben heute weltweit ein Netz von vielen tausend Klimastationen. In die Vergangenheit hinein aber wird das Klimadatennetz immer löchriger. Da kommt es auf jede Information an.
Lässt sich ihrer Meinung nach der Klimawandel aufhalten?
Das Klima ist beständig im Wandel, den man nicht rückgängig machen kann. Der Mensch wird sich anpassen müssen. Wichtig ist, dass der Bevölkerung in den Regionen geholfen wird, die von Dürre oder Überflutung betroffenen sind. Und das mit politischen Entscheidungen, die global getroffen werden.
Auch wenn Sie sich mit dem Klima eher in historischen Dimensionen beschäftigen – was glauben Sie in der Gegenwart zu dessen Schutz beitragen zu können?
Natürlich muss sich jeder überlegen, wie er vernünftig mit den vorhandenen Ressourcen umgeht. Ich fahre zum Beispiel privat kein Auto, weil ich das im Großraum Berlin nicht für nötig halte. Ich denke, dass man erst dann Forderungen an die Politik stellen kann, wenn man das eigene Verhalten entsprechend ausrichtet.
Empfinden Sie als Wissenschaftler, der oft monatelang unter unwirtlichen Bedingungen in morastiger, karger Landschaft arbeitet, eine engere Verbindung zur Natur.
So idealistisch würde ich das nicht sehen. Ich freue mich schon auch, wenn ich nach Wochen in der Kälte endlich wieder unter einer heißen Dusche stehen kann.
Das Gespräch führte Antje Horn-Conrad
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