zum Hauptinhalt

Landeshauptstadt: Durchs offene Fenster

Die Potsdamer Tafel hat eine neue Chefin: Caroline Hasselmann. 86 Freiwillige helfen ihr

Stand:

Innenstadt - Ein offenes Fenster trennt die Gebenden von den Nehmenden. Die einen in der Baracke zwischen Obst- und Gemüsekisten, die anderen draußen, auf dem winterkalten Hinterhof der Baptistenkirche. 50, 60 Menschen stehen dort: Alte, Junge, Mütter mit Babys im Kinderwagen. Alle halten leere Tüten und Stoffbeutel parat, warten darauf, dass sie die Taschen durchs Fenster reichen können, aus dem acht Helfer der Potsdamer Tafel Lebensmittel verteilen. Umsonst, zahlen muss niemand dafür. Rund 30 Bäckereien, Supermärkte und Obsthändler aus Potsdam, dem Umland und Berlin-Zehlendorf spenden dem gemeinnützigen Verein regelmäßig, was sie nicht verkaufen konnten.

Dessen Geschicke lenkt seit vergangenen Sommer Caroline Hasselmann. Nachdem ihre Vorgängerin Marina Gräfin Strachwitz aus Potsdam weggezogen ist, führt die studierte Volkswirtin ehrenamtlich die Geschäfte. Hasselmann ist 47 Jahre alt, verheiratet, Mutter dreier Kinder und arbeitet bei einem Berliner Verein, der Vormünder für minderjährige Flüchtlinge vermittelt. Sie selbst betreut zwei vietnamesische Mädchen. Zur Potsdamer Tafel kam sie über eine Freundin, die dort früher geholfen hat: „Sie wusste, dass Gräfin Strachwitz einen Nachfolger sucht und dachte, das wäre was für mich.“

Offenbar hatte sie Recht. „Die Arbeit macht mir Spaß“, meint Hasselmann. Vom engen Tafel-Büro in der Geschwister-Scholl-Straße aus organisiert sie den Lebensmittel-Transport. 86 Freiwillige helfen ihr dabei. „Wir retten keine Hungernden, sondern sorgen dafür, dass sich eine Familie vielleicht neue Turnschuhe fürs Kind leisten kann, weil sie beim Essenseinkauf spart“, erklärt Hasselmann das Vereinsziel. Positiver Nebeneffekt: Die unverkauften Nahrungsmittel landen nicht im Müll. Zu Hasselmanns Job gehört auch die Suche nach neuen Sponsoren, die die laufenden Kosten bezahlen. 2000 Euro gibt der Verein im Monat aus, für Versicherung und Telefon, für die Büromiete und das Benzin für die beiden Transporter, die täglich 15 Tonnen Essbares von Läden und Supermärkten abholen und zu einer der drei Potsdamer Ausgabestellen bringen: in die Schopenhauerstraße 8 im Zentrum, in den Schilfhof 28 am Schlaatz oder in die Anni-von-Gottbergstraße 14 im Kirchsteigfeld. Neulich aber musste Hasselmann eine ganze Palette Nutella ablehnen. Es fehlt einfach der Platz, sagt sie.

Im Kirchhof in der Schopenhauerstraße drängen sich vier Männer und Frauen gleichzeitig um das Barackenfenster, aus dem ihnen Ursula Wasner Zucchini und Äpfel reicht. „Versuchen Sie es doch einmal damit!“, sagt sie zu einer blonden Frau mit russischem Akzent und hält eine Packung Salat hoch. Bevor sie die grünen Blätter in die sowieso schon prall gefüllte Plastiktüte stopft, gibt Wasner der Blonden auf der anderen Fensterseite noch Tipps fürs Dressing. Jemand hinter ihr murrt, weil es nicht weitergeht. Doch Wasner bleibt gelassen. Erst nach einem „Alles Gute!“ ist der nächste dran, die Menschenschlange schiebt sich weiter.

Der Platzmangel ist ein altes Problem. Seit Jahren sucht der Verein nach größeren Räumen. Doch mit Forderungen hält sich die neue Tafelchefin zurück. Hasselmann tritt leiser auf als ihre Vorgängerin. Sie äußert lieber die „Hoffnung“, dass die Verwaltung dem Verein helfen werde. Zumindest prüft diese nun, ob der Verein den ehemaligen Fahrradladen in der Breiten Straße als Lager und vierte Ausgabestelle nutzen kann. Wenn das klappt, könnte sie auch das nächste Projekt starten: Spenden sammeln für einen Kühlwagen. Aber das sei Zukunftsmusik. Noch könnte der Verein gar keine weiteren Lebensmittel aufbewahren.

Selbst zum Vorsortieren reiche der Raum kaum: Ursula Wasner und die anderen Helfer suchen stundenlang aus jeder Lieferung verwelkte Salatköpfe, faule Tomaten und schimmlige Brötchen heraus, bevor sie die Waren an die Bedürftigen weiterreichen. „Bedürftige“ – Hasselmann malt dabei Anführungszeichen in die Luft: „Wir nennen sie Kunden.“

Rund 12 00 Menschen nutzen das Angebot der Potsdamer Tafel. Zweimal pro Woche dürfen sie die kostenlosen Lebensmittel abholen. Jedes Mal wird mit einem Kreuz auf der grünen Berechtigungskarte dokumentiert – gegen den Missbrauch. Nötig wäre das in Potsdam wohl nicht. Auf dem Hinterhof zumindest kennt man sich – auch über das Fenster hinweg.

Juliane Wedemeyer

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
console.debug({ userId: "", verifiedBot: "false", botCategory: "" })