130 Jahre Amtsgericht Potsdam: Düstere Säle der Justitia
Ein Haus mit Geschichte: Vor 130 Jahren wurde in der Hegelallee das heutige Potsdamer Amtsgericht eröffnet. Ein Blick hinter die Kulissen der Justiz.
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Potsdam - Die mit dunklem Holz vertäfelte und verzierte Decke hängt schwer über dem Saal, die Wände sind in Dunkelbraun und Tiefrot gehalten, kleine Fenster lassen nur wenig Tageslicht herein – eine Ausnahme ist da nur das große Glasdach über den Köpfen. Tief beeindruckt schaut sich die Besuchergruppe in dem Großen Schwurgerichtssaal des Amtsgerichts Potsdam in der Hegelallee 8 um.
Der Raum sei mit Absicht düster und abschreckend gestaltet worden, um die Angeklagten einzuschüchtern, sagte Rechtspflegerin Doris Roitzsch am Montagmorgen. Allerdings habe es an den Wänden auch juristische Sprüche gegeben, die die Beteiligten auf ihre Rolle im Verfahren hinweisen sollten. „Schweig still, so ist’s Dein Wille“, habe dort gestanden, oder „Jedermann ist sein Urteil wert“, so Roitzsch.
Insgesamt acht Interessierte waren am Tag der offenen Tür gekommen, um sich von ihr das imposante Gebäude und den Gerichtssaal einmal genauer zeigen zu lassen. Und das Amtsgericht hat tatsächlich eine bewegte Geschichte hinter sich.
Hier war die Stadt Potsdam eigentlich zu Ende
Am 22. Mai 1883, vor jetzt 133 Jahren, wurde es als Königliches Landgericht eröffnet. Das Gebäude, das direkt neben dem heutigen Verwaltungscampus der Stadt Potsdam steht und das Amtsgericht beherbergt, liegt zwischen mehreren Monumentalbauten aus der gleichen Epoche. Als es entstand, war hier die Stadt Potsdam zu Ende. Hinter der damaligen Mauerstraße waren Felder und Wiesen. Die Richter wollten ihre Ruhe haben, so Roitzsch. „Deshalb war das Gebäude auch knapp zwölf Meter von der Straße errichtet worden.“ Ein weiterer Anbau wurde 1907 errichtet. Auch er ist heute noch erhalten.
Anlass für den Prachtbau sei die Reichsjustizverfassung von 1879 gewesen. Demnach wurde die Justiz umgestellt auf das auch heute noch gültige dreigliedrige System aus Amtsgericht, Landgericht und Oberlandesgericht. Dafür habe es aber in ganz Preußen neue Räume gebraucht, so Roitzsch. Zuvor habe es nur eine zweite Instanz für die Klärung von Rechtsstreitigkeiten gegeben, das sogenannte Appellationsgericht.
Von außen betrachtet fallen vor allem die beiden kompletten Figuren von Friedrich dem Großen und Kaiser Wilhelm I. auf. Sie säumen das Eingangsportal zum Gericht auf beiden Seiten. Oben am Sims sind Büsten von fast allen anderen preußischen Fürsten zu sehen. „Nur die ersten vier fehlen“, sagte die Rechtspflegerin, die seit 1991 in Potsdam tätig ist und den Bereich Nachlass betreut. Die Hohenzollerngalerie war in der DDR ab 1953 entfernt worden, nachdem das Gebäude nicht mehr als Gericht genutzt wurde. Mit viel Glück konnten die Büsten von der Stiftung Preußische Schlösser und Gärten (SPSG) gerettet werden.
Nach der Wende: Chaos und Verwüstung
In die Hegelallee zog in den Folgejahren die Staatssicherheit ein und baute hier ein Versorgungszentrum auf – mit Sauna, Arztpraxen, einem Röntgenraum im ehemaligen Präsidentenzimmer und Vergnügungsstätten. „Das war chaotisch und alles verwüstet“, erinnert sich Roitzsch an die Besichtigung nach der Wende. In die barrierefreie und denkmalgerechte Sanierung inklusive der preußischen Fürsten- und Königsskulpturen investierte das Land Ende der 1990er-Jahre bis 2002 insgesamt 18 Millionen Euro.
Dazu gehörten auch die zwölf Verhandlungssäle. Bei der Einweihung 1883 sei das Königliche Landgericht eines der modernsten Gebäude der Stadt gewesen, so Roitzsch. Es habe sogar eine Luftheizung gegeben. „Das war schon eine Wucht für damalige Zeiten“, sagte sie. Es gab Telefon, die Candelaber waren an das Gasnetz angeschlossen, auch die Toiletten hatten eine Wasserspülung. Und für die Angeklagten war ein separater Zugang zu den Gerichtssälen angelegt worden.
Streit brach wenige Jahre nach der Eröffnung des Königlichen Landgerichts aus. Der Plan, 1902 ein Gefängnis direkt neben dem Gebäude zu errichten, sorgte für einen „Aufschrei“ bei den Honoratioren, so Roitzsch. Das Gefängnis hätte neben dem geplanten Stadthaus gestanden. Schließlich wurde das Stadtgefängnis in der Lindenstraße errichtet.
Recht wird im Schwurgerichtssaal nur noch selten gesprochen. Vor einigen Jahren habe es einen Prozess gegen Mitglieder des rechtsextremen Freikorps Havelland gegeben, berichtete der Vizepräsident des Amtsgerichts, Simon Welten. Das Verfahren nach Jugendstrafrecht habe wegen der Sicherheitsvorkehrungen hier stattfinden müssen. Bei dem Prozess war der Rädelsführer 2005 zu einer mehrjährigen Haftstrafe verurteilt worden. Die Gruppe hatte im Havelland Anschläge auf Imbisse und Geschäfte von Ausländern verübt.
Dennoch nimmt das Amtsgericht heute eine wichtige Rolle für die Rechtsprechung in Brandenburg ein. So sind hier das Nachlassgericht, das Familiengericht sowie das Grundbuchamt und die Abteilung für Zwangsvollstreckungsverfahren untergebracht. Insgesamt arbeiten mehr als 200 Juristen und Angestellte im größten Gericht in der Mark, so Welten.
Stefan Engelbrecht
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