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Landeshauptstadt: Ein attraktives Gotteshaus

Eine neue Publikation dokumentiert die Geschichte von Potsdams alter Synagoge neben der Hauptpost

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Am Tag danach. Das Glas der Fenster ist zerschlagen. Neugierig, vielleicht ratlos, stehen die Menschen vor der geschändeten Potsdamer Synagoge. Niemand schaut zu dem Fotografen Hans Weber, der die Szenerie am 10. November 1938 fotografierte. Es entstand ein Foto, das der Architekturhistoriker Thomas Sander als Cover für seine Schrift über die Synagoge am heutigen Platz der Einheit wählte. Dieses Foto besitzt „eine gewisse Einmaligkeit“, erklärte Markus Wicke, Vorsitzender des Fördervereins des Potsdam-Museums, am Donnerstag bei der Präsentation der einhundertseitigen Publikation. Ihr Titel erinnert an die einstige hebräische Inschrift am Portal der vom Architekten Julius Otto Kerwin gebauten und 1903 eingeweihten Synagoge: „Heilig dem Ewigen!“

Laut Wicke soll die Schrift im aktuellen Streit um eine neue Synagoge in Potsdam „eine historische Basis“ liefern. „Jetzt können beide Seiten damit arbeiten.“ Autor Sander sieht in seinem Heft „eine Argumentationshilfe“. Es zeige, „welche Qualität, welche Attraktivität“ die in der Bombennacht vom 14. April 1945 ausgebrannte Synagoge besaß. Die solide Sandsteinfassade blieb erhalten, wäre zu retten gewesen, wurde aber 1955 durch die Stadt abgerissen. Sander sagte, Kerwiens Entwurf könne „ein Vorbild für den zukünftigen Bau einer Synagoge in Potsdam sein“. Dank der Orgelkonzerte des Garnisonkirchenorganisten Otto Becker habe das Haus „seiner christlichen Umgebung ein kulturelles Angebot gemacht“. Sander: „Die Synagoge war nicht nur ein Gebetsort, sondern auch ein Kulturort“.

Sander befasst sich zunächst mit der ersten, 1767 errichteten Synagoge an der Nauenschen Plantage, wie der Platz der Einheit seinerzeit hieß. Dabei räumt er – ein Verdienst im Friedrichjahr – mit der Legende auf, der Bau des jüdischen Gotteshauses sei „wesentlich dank der Munifizenz des unvergessenen Königs Friedrichs des Großen“ entstanden, wie 1903 kolportiert wurde. Friedrich war, schreibt Sander, „ alles andere als ein Freund der Juden“. In seinem „Politischen Testament“ von 1752 notierte der als Aufklärer gerühmte Monarch: „Die Juden gehören von allen diesen Glaubensrichtungen der gefährlichsten an, denn sie beeinträchtigen den Handel der Christen, und sind unnütz für den Staat.“ Frösteln macht der Passus, wonach vor allem die armen Juden „ganz unnöthig“ seien und mit ihren Familien „nach aller Möglichkeit (...) weggeschafft“ werden sollten.

Zu klein geworden, entstand bis 1903 an gleicher Stelle eine neue Synagoge. Einen ersten neugotischen Entwurf Kerwiens verwarf Wilhelm II. Einen barocken Neuentwurf genehmigte er. Sanders Publikation zeichnet sich durch zahlreiche Baugrafiken und bisher unbekannte Fotos aus. Gerade die Fotografien vom Innenraum verdeutlichen, wie kolossal der gerade 14 mal zehn Meter messende, aber inklusive Empore 322 Plätze bietende Gebetssaal war. Erreicht werde diese Wirkung Sander zufolge durch die Schaffung eines liturgischen Zentrums mit Altar, Kanzel und Orgel, eine an katholische Kirchen erinnernde Anordnung.

Erschienen ist Sanders Schrift in einer Auflage von 1000 Stück. Dank einer Förderung von Land und Stadt kann sie kostenlos abgegeben werden – ab heute im Potsdam-Museum am Alten Markt.

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