POTSDAMER DENKMÄLER: Ein Baustil feiert Hundertjähriges
Potsdam ist nicht nur dem Barock verpflichtet, auch seine Jugendstilhäuser schreiben Geschichte: Ein Stadtrundgang mit Helmut Krüger.
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Sie sind wahre Kleinode, die Jugendstilhäuser, die zwischen 1900 und 1912 in der Brandenburger Vorstadt erbaut wurden. Sie künden vom Wachsen der Stadt und vom Erstarken ihres Bürgertums. Denn bis dahin wurde das Gelände neben der Erlöserkirche zumeist noch landwirtschaftlich genutzt. Namen wie Schafgraben oder Kuhtor künden davon. Nun haben die Häuser 100 Jahre und mehr auf ihren sehr individuell gestalteten Dächern, die meisten von ihnen sind bei den Fassaden denkmalgerecht saniert, innen wurden sie modernen Wohnanforderungen angepasst und der Führer durch all die Jugendstil-Herrlichkeit, Helmut Krüger, feiert ein eigenes kleines Jubiläum: Seit zehn Jahren präsentiert er den Potsdamer Jugendstil und erzählt dazu über Geschichte und Geschichten. Auch am Sonntag hatte er zum Rundgang eingeladen.
Helmut Krüger übernahm die Freizeitbetätigung und die besondere Verantwortung für den Jugendstil 2002 vom leider inzwischen verstorbenen Richard Mann, der aus Sorge um die erhaltenswerten Häuser in der Brandenburger Vorstadt gleich nach der Wende einen Jugendstilverein gründete. Mann wollte Bausünden verhindern. Unberechtigt war seine Sorge durchaus nicht. Dass es zum Beispiel in der Carl-von-Ossietzky-Straße ein Haus aus dunklem Klinker gibt, dass den Spitznamen „Knast“ wahrlich verdient hat, weil es abweisend und einfallslos so gar nicht in die Gegend passt, ist dem Wirrwarr nach der Wende und einer fehlenden Gestaltungssatzung geschuldet. Die gibt es inzwischen und die Wohnungsgenossenschaft 1903, die als Beamtenwohnverein Anfang 1900 vor allem in der heutigen Hans-Sachs-Straße Jugendstilhäuser errichtete, wurde für ihre denkmalgerechte Sanierung ausgezeichnet.
Krüger zeigt als Beispiel den „Ehrenhof“, der eine der Historie nachempfundene Gartenanlage hat. Die Denkmalpflege hat sich hier zu Kompromissen durchgerungen. Sie gestattete, dass Loggien-Verglasungen erhalten bleiben und die Nebengebäude aufgestockt werden durften. Die Angleichung an den Baustil war bei beiden „Nachbauten“ Bedingung und sie ist gut gelungen. Krüger führt in der Nansen- und in der Hans-Sachs- Straße auch in die Häuser und auf die Hinterhöfe. Im rückwärtigen Bereich ging es eher spartanisch zu. Moderne Zusätze in Form von angebauten Balkonen peppen den Wohnkomfort auf. Manche Höfe würden aber noch mehr Aufenthaltsqualität vertragen, andere – wie in der Meistersingerstraße 18 – sind schon stilecht gestaltet. Die einst bröckelnden Frontfassaden der Häuser zieren wieder pflanzliche Ornamente, Weintrauben zeugen von Fruchtbarkeit, Schwalben nisten auf Obstkörben und eine nur wenig bekleidete Dame aus dem Jahre 1908 symbolisiert aufblühende Häuslichkeit. Der Baum, dessen Wurzeln ebenso verschlungen sind wie die Blattkrone, kommt als typischer Schmuck vor, genau wie die „schöne Sonne“, die einem Haus an der Ecke Ossietzkystraße sogar den Namen gab. Die Flure erhielten in vielen Häusern wieder originale Bemalungen, mal wurde mit Schablonen gearbeitet, mal freihändig, mal Ton in Ton, dann wieder auch mit Farbe. In der Hans-Sachs-Straße 9 kann eines der letzten originalen Jugendstilfenster bewundert werden, das Weiß in Weiß geätzt ebenfalls Blütenmotive zeigt.
Originale Flurfenster sind auch noch im Haus Ossietzkystraße/Ecke Meistersingerstraße erhalten, bei dem der Fassadenanstrich allerdings ein ziemlich knalliges Rot aufweist. Das Haus ist erst teilsaniert und deshalb gibt es eine Besonderheit, weiß Krüger zu berichten. Die großen Wohnungen werden als WGs genutzt und so reiht sich Name an Name auf den Klingelschildern. Auch die WBG 1903 war auf Mietererhalt bedacht. Und so kann man ihn sich trotz Modernisierung noch leisten, den edlen Jugendstil auf mitunter 150 Quadratmetern Wohnfläche oder aufgeteilt in kleinere Einheiten. H. Dittfeld
H. Dittfeld
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