Von Antje Horn-Conrad: Ein Beweis für die Ästhetik der Mathematik
Potsdamer Mathematiker berichten an der Urania über angewandte Forschung
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Als die Komponistin Tatjana Komarova eine Musik mit dem Titel „Ungemalte Bilder“ schrieb, hatte sie sicher nicht im Blick, dass ihre Klangbilder tatsächlich einmal visuelle Gestalt annehmen könnten. Mathematische Wavelet-Transformationen aber machen es möglich. In leuchtenden Neonfarben schillern die am Computer sichtbar gemachten Melodielinien. Eine gemalte Partitur. Für Professor Matthias Holschneider von der Universität Potsdam ein neuerlicher Beweis für die Ästhetik der Mathematik.
Am kommenden Dienstag wird der Direktor des Zentrums für die Dynamik komplexer Systeme (Dycos) in einer Urania-Vortragsreihe zum Jahr der Mathematik über das noch relativ junge Forschungsfeld referieren. Am Beispiel der Musik kann er mit Wavelets zeigen, wie das menschliche Ohr die zu verschiedenen Zeitpunkten und in unterschiedlichen Frequenzen auftretenden Klangsignale einer Komposition ausbalanciert, um letztlich Musik wahrzunehmen. Mit der selben Methode sollen sich künftig auch Herzgeräusche visualisieren lassen, um sie medizinisch besser untersuchen zu können. Ebenso werden Wavelets in der Qualitätskontrolle technischer Geräte oder bei seismografischen Messungen in der Erdbebenforschung Anwendung finden.
Holschneider beschreibt seine Arbeit als mathematische Dienstleistung für die Naturwissenschaften. Der von ihm geleitete Uni-Profilbereich Dycos führt deshalb auch verschiedene Disziplinen zusammen: Mathematik, Biologie, Physik und Geowissenschaften. Auf welche Weise sie voneinander profitieren, wird im zweiten Teil des Urania-Vortrags Dr. Christine Böckmann erklären. Die Mathematikerin bereitet europaweit gemessene Daten von Schwebeteilchen in der Atmosphäre für die Verwertung in Klimamodellen auf. Die sogenannten Aerosole, zu denen auch Rußpartikel und Pollen zählen, haben unterschiedliche Eigenschaften. Die einen erwärmen die Atmosphäre, andere kühlen sie ab. Christine Böckmann rechnet aus den gemessenen Signalen diese mikrophysikalischen Parameter der Partikel heraus, um sie dann in die Modelle einfließen zu lassen.
Die Prozesse in der Natur aber verlaufen nicht linear, sondern unregelmäßig. Das verzerrt die Messdaten, deren Ungenauigkeiten sich in einem Klimamodell potenzieren können und zu falschen Prognosen führen würden. Um dies zu verhindern, entwickelt die Mathematikerin zusätzlich Regulierungsverfahren, die das unstetige Verhalten der Natur berücksichtigen. Von den Klimaforschern werden diese mathematischen Dienstleistungen dankbar angenommen. So arbeitet Christine Böckmann intensiv mit dem Potsdamer Alfred Wegener Institut zusammen, das schon seit längerem auf Spitzbergen von der Koldewey-Station aus den Aerosolgehalt in großen Höhen misst.
Auch Matthias Holschneider wird in seinem Urania-Vortrag ein lokales Beispiel für die praktische Anwendung seines Forschungsgebiets geben: Die Orgelbaufirma Schuke hat mittels Wavelet-Transformation Einblick in die Klanggeheimnisse der berühmten Silbermann-Orgeln nehmen können – ein Erkenntnisgewinn für den eigenen Instrumentenbau. Gern würde Holschneider seine Zuhörer zu einer visualisierten Aufführung der „Ungemalten Bilder“ von Tatjana Komarova einladen, in der sie parallel zur Musik die „gemalte“ Partitur auf einem Wandfries verfolgen können. Noch aber fehlt dem Wissenschaftler dafür ein entsprechend großer Konzertsaal. Für die Visualisierung von nur zehn Minuten Musik bräuchte er immerhin eine Wand von mindestens 50 Metern Länge.
Vortrag am Dienstag, 11. November, 18 Uhr, Urania Potsdam, Gutenbergstraße 71-72, Eintritt: zwei Euro.
Antje Horn-Conrad
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