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Landeshauptstadt: Ein Cello, eine Kaiserin und viele Tore

Die Christusgemeinde in der Nauener Vorstadt gehört zur selbständigen evangelisch-lutherischen Kirche. Einst vom König verfolgt, später von der Kirchenguste protegiert

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Das Cello spielt Wenzel. Der Zehnjährige ist das jüngste Mitglied des gemischten Ensembles aus Sängern und Instrumentalisten, das sich Freitagabend zur Probe getroffen hat. „In zwei Wochen wollen wir im Gottesdienst musizieren“, sagt Chorleiter Holger Utpatel. Draußen ist es noch sommerlich warm, in der Kirche angenehm kühl. Holger Utpatel gibt Anweisungen: „Jetzt bräuchten wir eine Posaune und Trompete“, sagt er. Und zu Wenzel am Cello: „Nicht ablenken lassen und schön auf einem Ton den Takt halten.“ Wenzel legt los, er sägt, er schiebt, ein Viervierteltakt, stoisch, immer weiter. Bis die Bläser und eine tänzelnde Flöte ihre Melodien draufsetzen. Gut gemacht, lobt Utpatel. Durchgehalten.

Immer ging es in der Christusgemeinde an der Ecke Hebbelstraße/ Behlertstraße ums Durchhalten. Nicht erst zu DDR-Zeiten, als die Stasi die seltsame kleine Gemeinde sehr genau beobachtete. Die Gemeinde gehört zur Selbständigen Evangelisch-Lutherischen Kirche und musste sich ihre Existenz mühsam erkämpfen. Ihr Ursprung hat mit der Zwangsvereinigung der reformierten und lutherischen Gemeinden zu einer unierten preußischen Kirche zu tun, die König Friedrich Wilhelm III. seinerzeit anordnete.

Die eher konservativen bekennenden Lutheraner hielten und halten sich streng an das Wort Gottes aus der Bibel und fanden sich in der neuen, unierten Reformkirche inhaltlich nicht wieder. Vor allem die Interpretationen des Abendmahls waren zu verschieden. Während die Unierten das Abendmahl eher symbolisch, als sogenanntes Gedächtnismahl, deuten, feiern die Lutheraner in der Eucharistie die Gegenwart Christi, sagt Pfarrer Christoph Schulze. Damit rücken sie ein wenig in die Nähe der Katholiken. Erkennbar auch daran, dass es in dieser evangelischen Kirche Kniebänke und ein Kruzifix auf dem Altar gibt und dass sich die katholische und die lutherische Liturgie sehr ähneln.

Weil sich 1817 die Altlutheraner weigerten, der preußischen unierten Kirche beizutreten, verfolgte man sie. Sie trafen sich dennoch weiterhin zum Gottesdienst, heimlich in privaten Wohnungen. Viele, vor allem die Pfarrer, gingen sogar ins Exil und es sollen auch manche im Gefängnis gelandet sein, sagt Kirchenvorstandsmitglied Eckhard Henning. Erst unter Friedrich Wilhelm IV. durfte sich eine altlutherische Kirche in Preußen gründen. Die Potsdamer Gemeinde fand 1845 zusammen und mit Hilfe von Kaiserin Auguste Viktoria, der „Kirchenguste“, konnte 1903 endlich eine Kirche gebaut werden.

Ob die Kaiserin Geld spendete oder nur ihren Einfluss beim Bauamt geltend machte, damit die Gemeinde ihr durchaus stattliches Kirchlein in eine enge Baulücke zwischen zwei Vorstadtvillen quetschen durfte, kann Pfarrer Schulze nicht genau sagen. Nun aber steht es da, taucht für Spaziergänger etwas unvermittelt in dem ruhigen Wohngebiet auf. Die Kirche war die Diplomarbeit des jungen Architekten Georg Grabkowsky, den die Kaiserin vermittelt hatte. Der baute, was damals angesagt war: roter Backstein in Neogotik, zwei Türmchen zu den Seiten des Portals, eines in der Mitte.

Im Inneren wirkt die Kirche sehr aufgeräumt, dunkles Chorgestühl, darüber eine helle Gewölbedecke, die Leichtigkeit vermittelt. Auffällig ist die Wandmalerei der Apsis, die stilistisch an die Malerei in der Hermannswerder Kirche erinnert – ein aufgemalter Teppich aus Weintrauben und Ährenbündeln, Symbole für das Abendmahl. Die Malerei wurde erst vor wenigen Jahren nach Farbbefunden originalgetreu wieder hergestellt. Auch die Fenster wurden erst kürzlich restauriert, erzählt Henning, der die Bau- und Sanierungsarbeiten in der Kirche koordiniert. Seit zehn Jahren steht die Kirche unter Denkmalschutz. Hier hat sich auch hinter den Kulissen die eine oder andere Besonderheit erhalten: So müssen die Glocken von Hand geläutet werden und die Schukeorgel hat zwar einen modernen Motor – aber auch noch einen funktionierenden Blasebalgantrieb.

Das Nebeneinander von Alt und Neu ist typisch für die Gemeinde dieser kleinen Splitterkirche, wo die wenigen Mitglieder – in ganz Deutschland sind es nur etwa 40 000 – zusammen halten mussten und müssen. Pfarrer Christoph Schulze, seit 1998 in Potsdam, erinnert sich an manche besondere Tradition. So habe es früher unter den verstreuten Gemeinden im Frühling jeweils ein überregionales Missionsfest und im Herbst ein Posaunenfest gegeben, zu dem man sich besuchte. Im dortigen Gemeindejargon hießen sie Kiekefest und Griepefest, sagt Schulze: Im Frühjahr schauten sich die jungen Männer in den fremden Gemeinden Bräute aus, beim Wiedersehen im Herbst wurde zugegriffen, erzählt Schulze.

Aber das ist lange her und in der Potsdamer Gemeinde gibt es auch ohne solche Gepflogenheiten viele junge Familien mit Kindern. Die Gemeinde wächst. Aus den Zeiten der Verfolgung und weil man immer irgendwie eine kleine Gemeinschaft war, formte sich ein enger Zusammenhalt, der bis heute erhalten blieb. Die Mitglieder kennen einander gut. Der familiäre Umgang sorgt dafür, dass neu Hinzugekommene sich schnell geborgen fühlen. Seit kurzem gehören auch zwei Paare aus dem Irak, Flüchtlinge, zur Gemeinde. Neben den sonntäglichen Gottesdiensten finden alle paar Wochen gemeinschaftliche Aktivitäten statt, Kaffeetrinken, Kirchenfeste, Ausflüge. „Das ist gut für den Zusammenhalt“, sagt Pfarrer Schulze.

Weil lediglich der Pfarrer hauptamtlich angestellt ist, müssen alle anderen Aufgaben und Arbeiten ehrenamtlich von den Gemeindemitgliedern übernommen werden. Jeder macht mit, sei es bei der Kirchenreinigung oder dem Küsterdienst. Oder beim Ausbau der kleinen Remise neben dem Pfarrhaus zu einem Ort für die Jugendlichen. Im Winter wurde sie fertig. Unten ist ein kleiner Versammlungsraum, im gemütlichen Obergeschoss stehen zwei Sofas und ein Kickertisch. Freitagabend steht es 9:5 zwischen Clemens, 13 Jahre alt, und seinem zwei Jahre älteren Bruder Theo. Die Jungs haben sich von einer Familienfeier im Gemeindesaal abgesetzt. Sie gehören zum guten Dutzend Jugendlicher, die sich regelmäßig hier treffen. Mal zu einem Themenabend, mal zum Abhängen. Einen festen Wochentag gibt es nicht, dafür eine Whatsapp-Gruppe, über die sie sich verabreden. Manchmal kommt der Pfarrer aus seiner Wohnung kurz zu ihnen rüber. „Der Pfarrer ist OK“, sagt Theo. Sie dürfen ihn Christoph nennen. Dass sie nicht so viele sind wie in anderen Gemeinden, finden sie nicht schlimm. „Bei uns ist es dafür entspannter“, sagt Theo.

Während Clemens noch mit Kräften versucht, seine Niederlage abzuwenden, wird in der Kirche weiter Musik gemacht. Zwischen den Sängern und Musikern tappt Philippa, eineinhalb, umher. Ihre Eltern singen im Chor, zur Probe darf sie mit und wandert jetzt durch die Bänke, während vorn musiziert wird. Die Begleitband ist inzwischen gewachsen, Vincent mit seiner Geige ist noch dazu gekommen und eine Frau mit Klarinette. Holger Utpatel lässt erst die Sänger üben, Einzelstimmen und gemeinsam, dann die Instrumente. Er ist zufrieden. „Super, das können wir zusammenbauen“.

Text: Steffi Pyanoe Fotos: Andreas Klaer

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