
© Manfred Thomas
Landeshauptstadt: Ein Dorf verleiht sich Flügel
Derwitz feiert „seinen“ Otto Lilienthal. Zum Jubiläum „120 Jahre Menschenflug“ war sogar Stölln vertreten
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Werder (Havel) - Vom Schritt zum Sprung, vom Sprung zum Flug: Nach diesem Prinzip schwang sich Otto Lilienthal vor 120 Jahren das erste Mal in die Lüfte – vom Spitzberg zwischen Derwitz und Krielow. Seit dem Wochenende erinnert ein neuer Gedenkstein am mittlerweile bewaldeten Hang des Hügels an den ruhmreichen Moment. Eingeweiht wurde er im Rahmen eines großen Festes, mit dem der Werderaner Ortsteil Derwitz am Samstag das denkwürdige Jubiläum feierte.
Dazu waren sogar Vertreter aus Stölln im Havelland angereist. Vom dortigen Gollenberg war Lilienthal 1896, fünf Jahre nach seinen ersten Flugversuchen in Derwitz, bei einem Absturz tödlich verunglückt. Bislang herrschte immer eine gewisse Rivalität zwischen den beiden Dörfern um den Titel „Erster Flugplatz der Welt“, denn in Stölln legte Lilienthal wesentlich weitere Strecken zurück. Davon war am Samstag aber wenig zu hören, im Gegenteil: „Der Gedenkstein ist eine Bereicherung für alle Lilienthal-Freunde“, sagte der Vorsitzende der Stöllner Lilienthal-Gesellschaft Horst Schwenzer. Er betonte sogar die gute Zusammenarbeit mit den „Derwitzer Freunden“ vom hiesigen Heimatverein. Von Werderaner Seite her gab man sich indes kompromisslos: „Es ist der historische Ort, an dem die ersten Flüge stattfanden“, wie Werders Beigeordnete Manuela Saß betonte.
Zwistigkeiten hatte es früher auch zwischen Derwitz und Krielow gegeben, wie der Derwitzer Ortsvorsteher Klaus Behrendt berichtete. Die Jungs hätten immer irgendwelche Kämpfe ausgefochten. Später stritten sich die Ortschronisten, denn der Spitzberg – und damit auch die erste Startbahn der Welt – liegt auf der Gemarkungsgrenze. „Ich stehe hier in Krielow, sie in Derwitz“, veranschaulichte er in seiner Ansprache das Dilemma dem Publikum. Heute sei man sich bei Lilienthal aber einig, unterstrich Behrendt, bevor er den Stein enthüllte. Gut 40 Meter geht es an dieser Stelle senkrecht bergab, Lilienthal ist aber von noch weiter oben abgesprungen, wie Behrendt erklärte.
Es ist nicht das erste Denkmal, das hier für den berühmten Ingenieur und Erfinder eingeweiht worden ist: Bereits zum 100-jährigen Jubiläum 1991 ist auf dem Mühlenberg nebenan – auch hier hob der Flugpionier ab – eine monumentale Stahlkonstruktion in Form des Flugapparates „Derwitz“ aufgestellt worden. Im Dorf selbst hatte ein Jahr später Otto Lilienthals Großnichte einen Gedenkstein enthüllt. Daneben befindet sich heute das Gedenkhaus mit einer Dauerausstellung zum legendären Sommer 1891. Insgesamt fünf Stationen der Fluggeschichte gibt es im Ort, unter anderem das Pfarrhaus – Lilienthal war mit der Pfarrersfamilie verwandt – oder das Haus des Müllers Schwach, wo er seine Geräte verstaute. Verzeichnet sind sie in einem Faltblatt, das die Stadt Werder jetzt herausgegeben hat.
Aber war Lilienthal wirklich der erste Flieger? Immerhin gab es schon lange vor seiner Zeit Heißluftballons... Der Berliner Luftfahrt-Historiker Joachim Grenzdörfer stellte in seiner Laudatio klar: „Otto Lilienthal hat als Erster den Menschenflug verwirklicht.“ Denn nur er habe die dafür nötigen Voraussetzungen erfüllt: Er habe die Aerodynamik erforscht, wissenschaftliche Konstruktionserkenntnisse gewonnen, sein Fluggerät selbst gebaut. Und er habe die Fluglernmethode entwickelt: Aus dem Stand zum Schritt, zum Sprung, zum Flug.
Wie das ausgesehen haben muss, zeigte Norman Bernschneider am Samstag. Der aus dem oberpfälzischen Amberg stammende Tüftler hat Lilienthals Flugapparat „Derwitz“ in Originalgröße nachgebaut. Wohl so mancher Derwitzer dürfte da eine Freudenträne im Auge gehabt haben.
Andreas Koska
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