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Sport: Ein Egomane wird erwachsen
Der gebürtige Belziger Fabian Wiede gehört seit kurzem zum Kader der Handball-Nationalmannschaft. Mit 19 Jahren ist der einstige VfL-Spieler der jüngste Debütant in der Amtszeit von Bundestrainer Heuberger
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Gedeon Guardiola lag auf dem Rücken wie ein Käfer. Der spanische Nationalspieler hatte für einen Augenblick jedwede Körperkontrolle eingebüßt. Untypischerweise. Für gewöhnlich zählt Guardiola zu den stärksten Verteidigern der Handball-Bundesliga. So wie im Spiel seiner Rhein-Neckar Löwen bei den Füchsen Berlin war er allerdings schon lange nicht mehr vorgeführt worden, erst recht nicht von einem Nachwuchsspieler und dessen simpler Körpertäuschung. Obendrein besaß dieser 19-Jährige auch noch die Dreistigkeit, seine Aktion mit einem krachenden Wurf zu krönen. Dass im Tor mit Niklas Landin der zweifellos beste Schlussmann der bisherigen Saison stand, schien den jungen Mann dabei ebenso wenig zu interessieren. Er hämmerte den Ball einfach in den Winkel, ganz abgeklärt.
Mit Szenen wie diesen hat sich Fabian Wiede seit August in den Vordergrund gespielt. Seinerzeit statteten die Füchse Berlin den gebürtigen Belziger mit dem ersten Profivertrag seiner Karriere aus, mittlerweile ist sogar Bundestrainer Martin Heuberger auf ihn aufmerksam geworden: Beim Vier-Länder-Turnier in Dortmund, Krefeld und Oberhausen (3. bis 5. Januar) und in den Testspielen gegen Tunesien (11./12. Januar) steht Wiede kurz vor seinem 20. Geburtstag im Februar zum ersten Mal im Aufgebot der Nationalmannschaft. Der Linkshänder ist zwar Nachrücker, weil Steffen Weinhold von der SG Flensburg-Handewitt kurzfristig verletzt ausfällt. Aber zugleich jüngster Debütant in der zweieinhalbjährigen Amtszeit Heubergers – ein gewichtiges Statement. „Mit Blick auf die langfristige Perspektive der Nationalmannschaft ist Fabians Einladung nur konsequent”, sagt der Bundestrainer. „Die Berufung ist natürlich etwas Besonderes für mich“, sagt Wiede selbst, „deshalb war ich schon ziemlich überrascht, als der Anruf kam“.
Angefangen hat alles um die Jahrtausendwende. Da nahm die Handballer-Familie Wiede ihr jüngstes Mitglied zum ersten Mal mit zum Training, fortan kümmerte sich die Mutter als Trainerin um die sportliche Grundausbildung ihres jüngeren Sohnes, während der Vater noch in der Regionalliga spielte. Auch Bruder Nico, heute in der Ostsee-Spree-Liga für den Ludwigsfelder HC aktiv, war in der heimischen Halle in Belzig natürlich immer mit dabei. 2006 hatte Fabian Wiede schließlich so große Fortschritte gemacht, dass er auf die Sportschule nach Potsdam und damit zum 1. VfL wechselte. Es sollte der nächste Schritt auf der persönlichen Entwicklungsskala werden – bis ein zeitloses Phänomen namens Pubertät dazwischenkam. „Ich war damals nicht bei der Sache, deshalb ging es nicht richtig voran“, sagt Wiede heute. „Wie sehr ich mit mir selbst beschäftigt war, sieht man schon daran, dass ich kurzzeitig angefangen habe zu rauchen“, ergänzt er.
Die Karriere stand auf der Kippe, bevor sie richtig angefangen hatte. Wiede erwog sogar das Handballspielen gänzlich sein zu lassen. Bis eines Tages ein kleiner Mann mit großen Visionen in Potsdam vorbeischaute, der von einem talentierten Rückraumspieler gehört hatte, den er wiederum gern für seine eigene Nachwuchsmannschaft spielen sehen würde: Bob Hanning, Geschäftsführer von Handball-Bundesligist Füchse Berlin und langjähriger Nachwuchs-Trainer des Klubs. Hanning holte Wiede nach Berlin und formte aus ihm den wohl talentiertesten rechten Rückraumspieler der Republik.
Mit seinem neuen Klub gewann Wiede zunächst die Deutsche B-Jugend-Meisterschaft sowie drei nationale Titel bei den A-Jugendlichen – und der Belziger hatte jeweils großen Anteil an den Erfolgen. „Fabi war in der Jugend zwar ein gnadenloser Egoist“, sagt Hanning, „aber ohne ihn hätten wir die vielen Meisterschaften niemals gewonnen.“ Auch deshalb stellte sich Hanning stets schützend vor seinen Zögling, selbst nach internen Beschwerden aus der Mannschaft und einem Abwahlbegehren der Teamkollegen. „Es war nicht immer leicht mit ihm“, sagt Hanning, „aber Fabi ist immer konsequent seinen Weg gegangen.“ Und dazu gehörte eben auch irgendwann die Erkenntnis, dass Handball ein Teamsport ist und freie Nebenleute angespielt werden dürfen.
Mittlerweile ist das ganz normal für Fabian Wiede, er ist auch unter sportlichen Gesichtspunkten erwachsen geworden. In seiner ersten Bundesliga-Saison habe er „sowohl im spieltaktischen als auch im körperlichen Bereich einen großen Sprung gemacht“, sagt Dagur Sigurdsson, der Trainer der Füchse Berlin. Nach Ende der Hinrunde bringt es Wiede auf 37 Treffer, also auf etwa zwei pro Spiel – ein sehr ordentlicher Wert für einen A-Junioren.
Wiede wird von seinen Teamkollegen weiterhin „Fabi“ gerufen, aber darüber hinaus erinnert nicht mehr viel an den schüchternen jungen Mann, der bei seiner Profivertrags-Unterschrift vor einem Jahr brav ein paar Floskeln aufsagte. Wo gestern noch Babyglätte herrschte, lässt sich Wiede heute einen Bart sprießen, wo gestern Plattitüde war, sagt Wiede heute Sätze wie diesen: „In der A-Jugend hat es manchmal gereicht, wenn ich 80 Prozent gegeben habe. Bei den Männern muss ich im Training und im Spiel schon mmer 120 Prozent geben, um mithalten zu können.“ Bislang hat der 19-Jährige jedenfalls mehr als mitgehalten. Fragen Sie doch mal bei Gedeon Guardiola nach.
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