Landeshauptstadt: „Ein erhebliches Risiko“
Der Psychologe Günter Esser über Hilfe bei Suizidabsichten und die Gefahren sozialer Netzwerke
Stand:
Herr Professor Esser, nach einem dreifachen Selbstmord wie nun in Hessen stellt sich vor allem die Frage: Wie können Angehörige oder Freunde erkennen, dass ein Mensch selbstmordgefährdet ist?
Es geht in solchen Fällen um Leute, die sich subjektiv in einer hoffnungslosen Lage sehen und glauben, dass sich daran nichts mehr ändern lässt. Ein gravierendes Anzeichen ist, wenn depressive Menschen versuchen, ihre Angelegenheiten zu regeln, also geliebte Wertsachen verschenken, ihre Tiere verkaufen oder ein Testament aufsetzen. Solche Menschen können dann scheinbar auch wieder optimistisch wirken – weil ihr Entschluss feststeht, sich das Leben zu nehmen.
Was sollten Angehörige oder Freunde in solchen Fällen tun?
Man sollte den Menschen auf diesen Verdacht ansprechen und auch fragen, ob er an Selbstmord denkt. Offenheit bringt in solchen Fällen am meisten. Ebenso sollte professionelle Hilfe gesucht werden, im äußersten Fall auch gegen den Willen der betroffenen Person. Denn man muss davon ausgehen, dass eine Selbstmordabsicht nur eine zeitweilige Krise ist, die sich mit einer entsprechenden Behandlung auch lösen lässt.
In Hessen hat sich eine Potsdamerin offenbar gezielt mit zwei anderen Frauen in sozialen Netzwerken zum Suizid verabredet. Solche Fälle sind ein neues Phänomen?
Ja. Aber ich habe damit gerechnet, dass so etwas passiert. Wenn sich Leute mit solchen Absichten in sozialen Netzwerken treffen, bereitet mir das große Sorgen, weil dies ein erhebliches Risiko für selbstmordgefährdete Menschen darstellt. Denn gerade Vorbilder spielen beim Thema Suizidalität eine große Rolle. Es gab Anfang der 1980er im ZDF eine Serie, in der es um einen Schüler ging, der sich vor einen Zug warf. Nach der Ausstrahlung stieg die Zahl der Selbstmorde junger Männer enorm an. Wenn sich im Internet nun Menschen über Selbstmordabsichten austauschen, nimmt das einigen Betroffenen vielleicht noch das letzte bisschen Hemmung – damit muss man rechnen. In dem aktuellen Fall lässt sich natürlich zunächst nur spekulieren: Aber wenn sich die Frauen nicht im Internet getroffen hätten, könnten vielleicht zwei von ihnen jetzt noch leben.
Könnten denn verschärfte Gesetze eine Möglichkeit sein, solche Suizidforen einzuschränken?
Ich fürchte, solche Phänomene lassen sich im Internet kaum aufhalten. Ich wüsste jedenfalls nicht, wie das gelingen sollte. Es gibt zum Beispiel nicht nur solche Suizidforen, sondern auch Netzwerke für magersüchtige Mädchen, die Jugendliche in ihrer Anorexie bestärken.
Ungewöhnlich an dem aktuellen Fall aus Hessen ist auch, dass sich Frauen das Leben genommen haben.
Das ist richtig. Denn statistisch gesehen bringen sich in der großen Mehrheit Männer um. Frauen dagegen begehen mehr Selbstmordversuche. Das liegt daran, dass Männer vor allem härtere Methoden wählen und etwa von Häusern springen. Frauen dagegen nehmen zum Beispiel Tabletten und können so in einigen Fällen noch gerettet werden.
Die Fragen stellte Henri Kramer
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