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Homepage: Ein europäischer Denker

Eine internationale Tagung des Potsdamer Moses Mendelssohn Zentrums erinnerte an Stefan Zweig

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Als der Erste Weltkrieg ausbrach, meldete sich der 32-jährige Stefan Zweig freiwillig an die Front. Als untauglich ausgemustert, wurde ihm ein Büroposten zugewiesen. In dieser Beobachterposition, die dem weit gereisten Intellektuellen Zeit zur Reflexion ließ, wandelte sich Zweigs Kriegsbegeisterung zu einem ethischen Pazifismus. Statt für nationalistische Interessen engagierte er sich fortan für eine geistige Einheit Europas.

Eine vom Moses Mendelssohn Zentrum organisierte internationale Konferenz befragte unter diesem Aspekt die Werke und das Wirken des noch heute viel gelesenen Autors. Ein Büchertisch am Rande der Tagung bewies, dass kaum ein anderer deutschsprachiger Schriftsteller des frühen 20. Jahrhunderts so präsent – und lieferbar – sein dürfte, wie der Österreicher Zweig. Das war nicht immer so.

Zwar war er schon zu Lebzeiten erfolgreich und wurde in viele Sprachen übersetzt, doch dann verboten die Nationalsozialisten seine Bücher, weil er Jude, Pazifist und, wie er selber sagte, „Weltbürger“ war. All das also, was das „arische“, militaristische und nationalistische Deutschland seit 1933 systematisch ausbürgerte und ermordete. Zweig erging es wie vielen Emigranten, er wurde bis lange nach 1945 vergessen. Was vielleicht auch an den Textgattungen lag, die er bevorzugte – die kleine Form der Novelle, die journalistische des Reiseberichts und die forschende der Biografie galten nicht als große Literatur. In den Kanon dessen, was als geistiges Erbe verstanden wird, fanden sie kaum Einzug. Heute ist die „Schachnovelle“ Schullektüre und Stefan Zweig wird als einer der großen europäischen Denker wahrgenommen.

Dass es so etwas wie einen europäischen Geist gebe, der unabhängig von Grenzen existiere, war eine der Grundansichten Zweigs. Er machte ihn bei so verschiedenen Autoren wie Balzac, Dickens, Dostojewski, Hölderlin, Nietzsche und Casanova aus, denen er als „Baumeister der Welt“ biografische Essays widmete. Dieser Hang zu Geistesgrößen, die für Zweig immer männlich waren, ließ den unpolitisch seien wollende Intellektuellen auch Freundschaft mit Maxim Gorki schließen. Gleichwohl war sein Interesse an Europa eher westlich geprägt, der Vielreisende sprach keine slawische Sprache und besuchte kaum Orte östlich von Wien, von einer einzigen, aber viel beachteten „Reise nach Russland“ 1928 einmal abgesehen.

Der Londoner Germanist Rüdiger Görner wies während der Tagung darauf hin, dass die spezifische Definition des Europäischen bei Zweig einem „erasmischen Bewusstsein“ entspringe. In Erasmus von Rotterdam, dem intellektuellen Vorbereiter der Aufklärung, und in dessen Kunst der diplomatischen Vermittlung habe Zweig eine kosmopolitische Dimension Europas erkannt. Als er 1934 eine Biografie über den Humanisten verfasste, tat er dies in dem Bewusstsein, dass der Begriff des Humanismus längst in Verruf geraten war. Schon 1849 hatte Grillparzer vor dem Weg der Humanität durch Nationalität zur Bestialität gewarnt. Wo Menschlichkeit nicht mit Zuwendung, Aufmerksamkeit und Rücksicht, sondern nur mit Grausamkeit, Egoismus und Rücksichtslosigkeit gleichgesetzt werden kann, herrsche Barbarei. Ihr wollte Zweig, so Görner, einen neuen Typus des Humanisten entgegensetzen. Einen, der als Gegenbild zum Fanatiker fungiere.

Die Aussagekraft seiner humanistischen Idee versuchte Zweig, gerade angesichts des Nationalsozialismus zu erproben. Verkörpert sah er diesen „neuen Menschen“ in jemanden, wie Walther Rathenau, den er 1912 als „ein amphibisches Wesen zwischen Kaufmann und Künstler, Tatmensch und Denker“ beschrieb, als einen rationalistischen Humanisten. Dass sich seine Ideen einer europäischen Einheit nicht verwirklichten, sondern im Gegenteil Nationalismus und Hass regierten, trieben Zweig nicht nur ins Exil, sondern auch in den Selbstmord. Zwei Jahre zuvor notierte er, der sich als „Mittler zwischen Menschen und Nationen“ verstand, 1940 in sein Tagebuch: „Europa erledigt, unsere Welt zerstört“. Lene Zade

Lene Zade

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