Homepage: „Ein geheimnisvoller Prozess“
Prof. Günther Rüdiger vom AIP wurde für ein ungewöhnliches Experiment ausgezeichnet
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Das Astrophysikalische Institut Potsdam (AIP) hat nicht nur das Programm für das aktuelle Jahr der Astronomie erarbeitet, die Forscher des Instituts werden auch immer wieder mit wichtigen Preisen ausgezeichnet. So erhielt Prof. Dr. Günther Rüdiger zusammen mit Dr. Frank Stefani (Forschungszentrum Dresden-Rossendorf) Ende 2008 den Wissenschaftspreis des Stifterverbandes für die Deutsche Wissenschaft. Vergeben wurde der Preis für den im Rahmen des Projekts „Promise“ (Potsdam ROssendorf Magnetic InStability Experiment) erstmalig geglückten experimentellen Beweis der Theorie der Magneto-Rotationsinstabilität (MRI), einer Erklärung zur Entstehung von Sternen und Schwarzen Löchern.
Herr Prof. Rüdiger, Sie wurden für den Beweis der Theorie der Magneto-Rotationsinstabilität ausgezeichnet. Das klingt recht abstrakt.
Das ist es aber keineswegs. „Promise“ ist ein Experiment. Es wurde im Forschungszentrum Dresden-Rossendorf gebaut und hat dort beinahe vom ersten Tag an funktioniert. Es besteht aus zwei Kupferzylindern, deren äußerer sich langsamer dreht als der innere, ähnlich wie die Planeten im Sonnensystem. Zwischen den Zylindern befindet sich eine flüssige Galliumlegierung, in die mit Ultraschall hineingesehen wird. Das Gallium nimmt zunächst unbeeindruckt an der allgemeinen Rotation teil, kommt aber sofort in Wellenbewegung, wenn innerhalb der Zylinder ein spiralförmiges Magnetfeld von etwa 100 Gauß angelegt wird.
Was passiert dann?
Das Magnetfeld ist so beschaffen, dass es selbst nicht die geringste Kraft auf die Flüssigkeit ausübt, es verändert sich auch nicht, es muss nur da sein, so wie ein Katalysator in der Chemie. Das Gallium beginnt sich sanft zu durchmischen, beschleunigt den äußeren Zylinder und bremst den inneren. Es setzt sich infolge einer neu entdeckten magnetischen Instabilität in Bewegung, die man bisher in keinem Lehrbuch der Experimentalphysik finden konnte. Diese „Magneto-Rotationsinstabilität“, kurz MRI, wurde bei Computerrechnungen zur Sternentstehung gefunden. Wir haben die MRI als erste ins Labor geholt.
Wozu der Aufwand?
Nur Experimente können Theorien bestätigen. Auch die schönste und überzeugendste Theorie ist wertlos, wenn sie nicht stimmt. Ob sie stimmt, lässt sich oft nur im Labor überprüfen, was in der Astrophysik aber schwierig ist wegen der riesigen Dimensionen, die die Natur zur Verfügung hat. Wir haben jahrelang am AIP mit unserem besten Computercluster von morgens bis abends gerechnet, bis das Experiment aufgebaut werden konnte. Mein Kollege Manfred Schultz hat dabei numerisch eine so perfekte Annäherung an die elektrischen Eigenschaften der Gallium-Legierung erreicht, dass sie bis heute weltweit unübertroffen ist. Das hätte ich nie geschafft.
Welche Frage steht im Hintergrund des Experiments?
Es geht um die Entstehung der Sterne und Planeten, die gleißende Helligkeit der Quasare, die Entstehung der Galaxien und das unübersehbare Funkeln eigentlich dunkler Doppelsterne am Röntgenhimmel. In all diesen Fällen fließt Gas in ein Massezentrum, das sich wegen der Drehimpulserhaltung immer schneller und schneller drehen müsste, bis die Zentrifugalkraft zerstörerisch alles wieder nach außen schleudern würde. Bei Drehimpulserhaltung müsste die Sonne in einer Sekunde rotieren, was natürlich für einen so großen Stern ganz unmöglich ist. In der Urwolke muss der Drehimpuls also von innen nach außen gewandert sein und gleichzeitig die Masse von außen nach innen. So hat schließlich die Sonne fast die ganze Masse abbekommen und der Jupiter fast den ganzen Drehimpuls. Wie funktioniert das? Das ist das so genannte Drehimpulsproblem, dem man im Kosmos auf Schritt und Tritt begegnet. Ein geheimnisvoller Prozess muss den Drehimpuls nach außen schicken, damit sich die Masse im Wolkenzentrum sammeln kann, um die Sonne zu bilden.
Klingt sehr rätselhaft.
Ist auch immer eines der großen Rätsel der Astrophysik gewesen. Im Himmel wollte der große Physiker Werner Heisenberg endlich erfahren, warum es Turbulenz gibt. Aber selbst von dort, so sein Bonmot, erwartete er keine wirklich gute Antwort. Sein Freund Carl-Friedrich von Weizsäcker hatte 1948 beim Studium „Rotierender kosmischer Gasmassen“ festgestellt, dass diese turbulent sein müssen, um in ihrem Inneren Sterne bilden zu können. Turbulenz sollte also das Drehimpulsproblem lösen und den Drehimpuls schnell genug, also in etwa einer Million Jahren, wegschaffen können. Die dazu von der Turbulenz erzeugte Zähigkeit in der Gaswolke müsste größer sein als die von Eisen oder Stein.
Eine unlösbare wissenschaftliche Frage?
Es ist jahrzehntelang unklar geblieben, wie es zu dieser Turbulenz kommt. Abgeplattete Gaswolken, die nach dem bekannten dritten Kepler-Gesetz rotieren, entwickeln keine Turbulenz, das steht in jedem Lehrbuch. Man hat auch an die Wirkung von Magnetfeldern gedacht, die im Kosmos überall in jeder Stärke vorhanden sind. Aber auch in den Büchern über Magnetohydrodynamik findet sich kein Hinweis. Die einzigen Experimente in dieser Richtung, in den 50er Jahren in Chicago unternommen, hatten zu nichts geführt.
Dann sind Sie aktiv geworden.
Richtig, an dieser Stelle haben wir 2001 am AIP angefangen zu rechnen. Es wurde bald klar, dass man damals viel zu langsam gedreht hatte und auch, dass die notwendige Rotationsgeschwindigkeit gar nicht zu erzielen war. Das war das grundlegende Dilemma, das die Entwicklung so lange aufgehalten hatte. Die von uns daraufhin eingesetzten spiralförmigen Magnetfelder haben den Aufwand schlagartig reduziert. Der Preis dafür ist, dass bei unserem Experiment Ströme von mehr als 7000 Ampere durch das Gerät fließen müssen, was aber technisch heute möglich ist. Die damit erzeugten Magnetfelder von rund 100 Gauß sind allerdings viel größer als die zur Erzeugung der Turbulenz in der Urwolke theoretisch benötigten Felder. Aus den heute gemessenen Magnetfeldern von Meteoriten, die aus der Entstehungszeit des Sonnensystems stammen, findet man einen Wert von etwa einem Gauß, was perfekt zur Theorie passt. „Promise“ hat tatsächlich einen modernen Ansatz zur Lösung des kosmischen Drehimpulsproblems ins Labor geholt. Um diesen erstmaligen Beweis hat es jahrelang ein internationales Wettrennen gegeben.
Der jetzt gelungene Nachweis ermöglicht auch methodische Rückschlüsse auf industrielle Produktionsprozesse.
Auf den Ergebnissen von heute basiert die Technologie von morgen oder übermorgen. Promise hat gezeigt, wie man flüssige Metalle sanft – ohne zu rühren und zu schütteln – mit Magnetfeldern mischen kann und wie man kontaktlos in das flüssige Metall hineinsehen kann. Auch bei der Kristallzüchtung gibt es Strömungen, die mit Magnetfeldern gesteuert werden sollen. Die Kontrolle der Strömung ist wichtig, um größere Kristalle, etwa für die Photovoltaik, zu züchten.
Fragen von Jan Kixmüller
Günther Rüdiger ist seit 1992 Leiter der Abteilung „Turbulence Astrophysics“ am Potsdamer AIP. Seit 1995 hat er die Professur für Astrophysik an der Universität Potsdam inne.
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