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Von Erhart Hohenstein: Ein Golf für 17 460 Mark

Mit der Wende begann die Jagd der Potsdamer nach einem schicken Westwagen

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Im April 1990, noch stand zum 1. Juli die Währungsunion bevor, nahm in Potsdam ein zu DDR-Zeiten florierender Erwerbszweig ganz neue Formen an: Im zentralen Autohaus an der Ecke Yorck- und Friedrich-Ebert-Straße erschien eine ganze Palette von VW-Fahrzeugen, der gebrauchte Golf ab 18 000, ein Jetta ab 20 000 Westmark. Annehmbare Preise, aber welcher Potsdamer hatte schon soviel „harte Eier“? Doch halt, ab Anfang des Monats boten Banken Kredite für den Kauf an. In den Gebrauchtwagenhandel stieg auch der Kraftfahrzeug-Instandsetzungsbetrieb in der Babelsberger Karl-Liebknecht-Straße ein, der zum Verkauf der ersten 15 „fast neuen, tadellos gepflegten“ Golf, Polo, Opel, Ford und Transporter sogar ein Volksfest mit der Havelländer Blasmusik, Bockwurst und Bier für je eine (Ost)Mark, Malheftchen und Luftballons für die Kinder veranstaltete. Die Fahrzeugpreise lagen zwischen 8000 und 34 000 DM. Dank der Kooperation mit einem Westberliner Autohaus war der Nachschub fast unbegrenzt, die Abwicklung des volkseigenen Betriebes dennoch nicht zu vermeiden.

Die Zeichen der Zeit erkannt hatte ebenso der Babelsberger Autoersatzteilhändler Schröder in der Pasteurstraße. Eine Anzeige in den Brandenburgischen Neuesten Nachrichten, dem Vorgängerblatt der PNN, und ein Artikel „Ein neuer Golf für 17 460 DM“ lösten in kürzester Zeit mehr als 400 Anrufe aus, die das damals wenig leistungsfähige Babelsberger Telefonnetz fast abstürzen ließen. Bei dem „neuen Golf“ handelte es sich um einen Zweitürer mit 55 PS, zum Kaufpreis kamen noch 680 DM Überführungskosten hinzu. Gebrauchte Wagen wurden für 10 000 DM plus angeboten. „In den Wendezeiten mussten wir sehen, wie wir unsere Existenz behaupten“, erinnert sich Uwe Schröder. Auch dank dieser Verkaufsidee bestehe die 1957 gegründete Firma noch heute.

Die Möglichkeit, schnell zu einem Pkw zu kommen, führte bei der Fahrausbildung zu langen Wartezeiten zwischen Anmeldung und erster Fahrstunde. Lagen sie schon in den 1980er Jahren bei drei bis vier Jahren, kletterten sie nun auf 67 Monate, also fast sechs Jahre. Das räumte in einem BNN-Interview Eckhard Syring ein, der Leiter der dem Kombinat Güterkraftverkehr zugeordneten zentralen und einzigen Fahrschule Potsdams. Durch die Gründung zahlreicher privater Fahrschulen nach Wiederherstellung der Gewerbefreiheit war dieses Problem jedoch schnell gelöst.

Erstaunlich, dass noch im Frühjahr 1990 die DDR-Autohersteller eine Verkaufsoffensive für Wartburg und Trabant und Automarken aus den „sozialistischen Bruderländern“ einläuteten. Die gab es noch für Ostmark, Preisnachlässe wurden aber nicht gewährt. Eine ganze Reihe von vornehmlich älteren Potsdamern, deren Anmeldungen auf einen Pkw teils schon zehn und mehr Jahre alt waren, machte davon Gebrauch. Wärmstens empfahl der Chef des volkseigenen Autohauses noch Mitte April in den BNN den umweltfreundlicheren neuen Viertakter-Trabant.

Andere Potsdamer hatten inzwischen längst eine andere Möglichkeit genutzt, zu einem technisch modernen fahrbaren Untersatz zu gelangen. Im Februar erleichterte die DDR-Regierung die „nichtkommerzielle Einfuhr von Pkw und anderen Fahrzeugen“. Bis zu 230 Potsdamer standen wöchentlich an den beiden Sprechtagen in der Bezirkszollverwaltung in der Ernst-Thälmann-Straße (Großbeerenstraße) Schlange, um die Genehmigung zu erhalten.

Erhart Hohenstein

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